Yorckstr./Mehringdamm – 10965
Herr Leone war mit dem Fahrrad vorgefahren und lehnte es neben dem Bankautomaten an die Wand. Siegessicher ging er zur Tür, klopfte und wartete, dass etwas passierte.
Seit 1987 war er daran gewesen, eine geheime Passphrase an der Wand einer Toilette zu entziffern, und seine Haare waren darüber grau geworden. Jetzt war er sich aber sicher, dass es heißen musste: "Ken sent me". Hiermit wollte er es diesmal versuchen.
Aber nichts passierte. Keine Klappe, die sich öffnete, kein Vorhängchen hinter dem Guckfenster, das zur Seite geschoben wurde, kein bulliger Typ, der nach einem Passwort fragte. Das war seltsam.
Er ging ein paar Schritte zurück, nein, noch weiter, bis auf die andere Straßenseite. Dort stand er neben einem Herrn mit einem Fotoapparat, um von dort aus die Szenerie in ihrer Gänze zu überblicken. Warum funktionierte es nicht? War es ein Logikrätsel?
Da gab es doch diesen ulkigen Typen mit seinem eigenartig pixeligen, monochromfarbenen Mantel. Den konnte man hier allabendlich antreffen. Der war's bestimmt. Der musste es überzogen haben. Diesmal wohl nicht nur das Bankkonto, wenn er wie immer mehrfach an einem Abend mit hochrotem Kopf zum Luftschnappen einen kurzen Spaziergang zum Bankautomaten machte, um gleich darauf mit einem dicken Bündel Scheine wieder an der Tür zu klopfen. Nein, diesmal war es eine andere Nummer. Diesmal hatte er wohl so lange die Puppen tanzen lassen, dass jetzt geschlossen war, weil der Tisch vor lauter Tanzen gebrochen war.
Klick, klick, machte es neben Herrn Leone. Ach ja, der Herr mit dem Fotoapparat war ja auch noch da. Klick, hörte Herr Leone ein weiteres Mal, bevor der Herr den Fotoapparat wieder in seine Tasche packte und mit einem Rennrad davon fuhr. Ein schicker Klassiker, fand Herr Leone, aber das tat jetzt nichts zur Sache.
Was also nun? Da war wohl nichts zu machen. Aber eine Sache, die musste jetzt noch erledigt werden. Es war eine seltsame Angewohnheit. Oder war es schon ein Zwang? Bevor Herr Leone diesen Ort verlassen würde, da würde er noch alles inspizieren und in die Hand nehmen. Nebenan, in der dunklen Gasse zwischen diesem Gebäude hier und dem benachbarten Bestattungsinstitut, da hatte er sich schon den Müllcontainer und die Feuerleiter vorgenommen, bis irgendein Rüpel auftauchte, der sich prügeln wollte. Keine Ahnung warum. Aber hier vorne gab es vielleicht noch etwas, was er später gebrauchen könnte.
Der Tisch? War kaputt. Auch alles andere war nicht attraktiv. Trotzdem versuchte er, alles nacheinander in seine Taschen zu stecken. Aber er hatte einfach zu wenig Platz in seinem Inventar. Nun denn. Dann eben nicht.
Herr Leone ging wieder zu seinem Fahrrad. Oh! Was war das? Fast hätte er es übersehen. Neben dem Vorderrad lag ein kleines, schwarzes Ventilkäppchen. Ziemlich nutzlos, fand er, aber was soll's. Besser als nichts. Er bückte sich, steckte das Ventilkäppchen ein. Man konnte nie wissen, ob es nicht später doch noch ein Rätsel gab, wo sich genau dieses Ventilkäppchen als nützlich erweisen würden. Dann schwang Herr Leone sein Bein über das Oberrohr und fuhr davon.