...Enthusiasten! Dies hier ist einer!
Rüdiger Hagen ist Müllerei- und Mühlenbautechniker aus Wedemark und spiritus rector des Vereins zur Erhaltung der Szeinhuder Windmühle e.V., auf den Namen Paula getauft. Für das Foto bestand er darauf, sich die Müllermütze aufzusetzen. Das ist "sein Kind":
Sonntag, 2. Juli, 13.45 Uhr, der Zufall will es, dass dies die genialste Zeit ist, hier zu sein. Ihr seht,
die Tür steht offen! Es ist der erste Sonntag im Monat, und Rüdiger ist gekommen, die regelmäßige Mühlenöffnung vorzubereiten.
Ein absoluter Glücksfall. Rüdiger lässt mich sofort überall rumturnen, die üblichen Bedenken mit Sicherheit usw ... er setzt auf den gesunden Menschenverstand. Ganz oben hin darf man während des Betriebs natürlich nicht. Während er die Mühle zum Mahlbetrieb einrichtet, kann ich es gar nicht fassen - und muss eingestehen, dass ich etwas konfus reagiert habe. Daher bekommt ihr jetzt einige Fotos, aber nur dürftige Infos. Es ist alles lückenlos mit Schautafeln, historischen Fotos, Diagrammen usw dokumentiert und anfangs war mir nicht klar, mit wem ich es da zu tun hatte. Einen intimen Kenner
und Praktiker zu fragen, wann das letzte Mal die Mühle überarbeitet wurde, grenzt ja an eine Beleidigung. Aber das fasste ihn überhaupt nicht an, die Ruhe und Freundlichkeit in Person (Antwort auf die Frage: die Überarbeitung endet nie, findet fortwährend statt). Er kennt im übrigen auch alle anderen Windmühlen Niedersachsens und hat mit Wolfgang Neß ein umfangreiches Buch dazu verfasst. Selbst in "meiner" Region Südniedersachsen kennt er sich aus und war sogar beim Bau einer neuen Bockwindmühle in Fürstenberg/Weser beteiligt (zu diesem seltsamen Projekt wird es noch einen Beitrag geben - die Seltsamkeiten Fürstenbergs).
Auch "Paula" ist eine versetzte Mühle, sie wurde 1863 in Broitzem bei Braunschweig errichtet. 1912 wurde sie dann "auf Abriss" verkauft und hierhin transloziert. Wichtigste Neuerung beim Wiederaufbau waren die Jalousieflügel, die eine Regulierung der effektiven Windangriffsfläche während des Betriebs ermöglichen - über ein Gestänge, das mittig aus dem Flügelkopf austritt - und sich als Standard etabliert hatten. Die
Bilauschen Ventikanten , in den frühen 20ern entwickelt, kamen trotz ihres enormen Effizienzgewinns zu spät - zu teuer und auch sehr schwer. (So was lernt man erst durch solch eine Faden!)
Das Erzielen einer vernünftigen halbwegs konstanten Drehzahl erwies sich an diesem Tage als etwas tricky. Es ist Voraussetzung zu einem guten Mahlergebnis. Zum einen war der Wind recht böig, aber auch die angrenzende Bebauung mit Baumbestand machen der Mühle bei bestimmten Windrichtungen ernste Probleme. Weil das natürlich auch früher zumindest bei Flaute oder schwachem Wind zum Problem wurde, wurden Windmühlen oft zum Standort erst von Dampfmaschinen, dann Dieselmotoren und schließlich elektrischen. Ein solcher uralter befindet sich auch hier, Transmissionen sind allgegenwärtig.
Nun folgen die konfusen Innenbilder, man sieht die Fachwerkkonstruktion, die natürlich Voraussetzung für eine Translozierung ist. Die Abmessungen der Getriebeelemente sind gigantisch, hier ist schon vieles aus Metall, teilweise nahezu kurios: die Stirnräder an der Königswelle (vertikale Kraftübertragung) tragen in einem Metallrund Holzzähne!
Von oben nach unten: Eintritt der Flügelwelle ins Innere:
Kraftübertragung auf die Königswelle mittels Schrägverzahnung - rechts das "Fenster" zur Windrose, die die automatische Ausrichtung der Kappe bewerkstelligt:
Der Mehlboden mit zwei Mahlgängen. Links ist die Sackwinde zu erahnen:
Im Hintergrund die Steinhebevorrichtung:
Die Bedeutung der Steinqualität bei klassischen Mühlen lässt sich kaum unterschätzen. Ich will jetzt nicht schlaumeiern, hatte
@Steff_N nicht schon etwas dazu geschrieben? Für die Steinhuder Mühle bot sich natürlich der nahe Oberkirchener Sandstein an, nur ist der so grob, dass sich damit nur Schrot produzieren lässt. Paula hat einen Mahlgang mit einem sehr wertvollen französischen Stein aus der Umgebung von Paris, mit dem sich feinstes Mehl erzeugen lässt.
Auch ein "moderner" Walzenstuhl findet sich hier:
Auf dem vierten Boden von oben lauter Sichter und Absackanlagen. Von hier aus - von unten - werden auch wie zu sehen die Mahlgänge im Stockwerk drüber angetrieben:
Im Erdgeschoss waren wir gleich beim ersten Foto. Dort tut der Verein alles, um sich zu präsentieren. Ua wird Mehl verkauft... ganz geschickt nicht zu einem festen Preis, sondern nach selbstgewählter Spendenhöhe. So macht man das! Die schicken zugenähten Pfundsäckchen sieht man ganz unten rechts auf dem ersten Bild. Vllt trete ich auch in den Vereinein.
"Leider" war es nach einer halben Stunde mit der Ruhe dahin, so konnte ich Herrn Hagen nicht mehr weiter vereinnahmen. Schaubilder zB zum hölzernen Rohrbau oder der Mühlendichte rund um Halle...
Hall..o? hamm wir da niemanden? @basik ? ..oh neee, doch lieber jemand aus Leipzig oder so ... ließen aber auch kaum Fragen offen.
Ich schließe mit einem Bild des Hauptprotagonisten. Die Jalousieklappen sind noch nicht auf "Betrieb" gestellt
Was ein glücklicher Moment!