Achtung: langer Beitrag zur Dopingdiskussion. Im Zweifel einfach weiterscrollen.
Mindestens einmal im Jahr habe ich den Impuls mich hier anzupassen und etwas zu schreiben, was ich schon vorher von mir gegeben habe, weil ja viele andere sich auch ständig wiederholen - natürlich zum Thema Doping.
Wer nicht wirklich Insider ist, der kann ein bisschen mutmaßen, aber wir Zuschauer und Hobbyluschen können uns doch wirklich nicht sicher sein ob gedopt wird oder nicht und wenn ja in welchem Umfang. Die Diskussion darüber ist wirklich müßig und ich vermute, dass einfach die Angst vor einem weiteren großen Skandal in den Hinterköpfen dominiert.
Die Argumente sind teilweise aber einfach abstrus. Aktuell ist Pogacar absolut dominant und gemessen an seinen Leistungen vergangener Jahre und Vingegaards Unfall ist das nun wirklich nicht unglaubwürdig. Trotzdem triggert eine Fahrt wie gestern hier bei einigen sofort den Dopingverdacht.
Wenn Vinge und Remco gestern (und in den vorherigen Etappen) das Tempo mitgegangen wären, wäre das dann ok oder wären sie dann wahrscheinlich eben alle drei Doper? Wie viele mehr hätten noch innerhalb welches Zeitabstands ankommen müssen, damit gegenüber dem Gewinner kein Dopingverdacht erwächst?
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein einzelner Fahrer dopt. Doping trotz der Kontrollen mit gutem Effekt umzusetzen ist, wie auch immer es evtl. praktiziert wird, doch keine triviale Problemstellung, die ein gewiefter Abiturient mit dem Chemiebaukasten selber hinbekommt. Wenn es hier neue, noch unendeckte und wirksame Methoden gibt, dann sind die von Menschen mit gewinnerzielungsabsicht entwickelt worden und werden sicher nicht nur einem einzelnen Fahrer zugänglich sein. Zusätzlich wird es durch Talent und Tariningsmethoden auch unter gedopten sehr große Untershciede geben. Nicht zuletzt, weil Doping ja auch unterschiedlich wirkt.
Relativ plötzliche Leistungssteigerungen bei Fahrer die in dasselbe Team wechseln sind da in meinen Augen schon interessanter. Da gibt es vielleicht sowohl bie Visma wie auch bei UAE mögliche Verdachtsmomente, aber mir ist zum einen keine systematische Auswertung der Leistungen verschiedener Fahrer vor und nach Teamwechsel bekannt, noch kann ich bewerten wie stark die Unterschiede bezüglich Training und Ernährung zwischen den Teams wirklich sind. Wirklich substanzielles ist hierzu im Forum ebenfalls nicht anzutreffen.
Zuletzt bleibt natürlich der Vergleich zu Leistungen aus der Dopingzeit der 90er und 2000er. Dass dafür, wenn überhaupt, nur Vergleiche bei hinreichend steilen und langen Anstiegen sinnvoll sind, ist ja zum Glück akzeptiert. Dass es aber auch hier Unterschiede gibt, die sich auch ohne Doping erklären lassen, wird ja immer wieder erwähnt, aber selten quantifiziert und vor allem von vielen nicht geglaubt.
Aerodynamik, Rollwiderstände, Windverhältnisse machen selbst am Berg schon einen merklichen Unterschied zu früheren Zeiten aus und lassen sich mit historischen Fahrten nicht mehr vergleichen. Ich habe davon nichts selber berechnet / abgeschätzt, und glaube zwar, dass es hier einen signifikanten Beitrag gibt, der aber nicht ausreichend die Zeiten der letzten Jahre erklärt.
Möglicherweise größeren Einfluss hat die Fahrweise, worauf hier auch immer wieder hingewiesen wird: es macht schon einen sehr großen Unterschied aus, ob ein Berg komplett im Zeitfahrmodus an der Schwelle gefahren wird oder ob die ersten x% im Feld mit noch nicht vollem Tempo gefahrne werden oder es Passagen gibt, in denen sich die Favoriten belauern und es fast zu Stehversuchen kommt. Es ist immer erstaunlich zu sehen wie schnell dabei Zeitunterschiede von 30 Sekunden entstehen oder zugefahren werden. Mein Eindruck ist, dass diese Taktierei, wie es sie früher häufiger gab, gerade bei Pogi und Vingegaard nicht häufig zu sehen ist. Ersterer zieht nach einer explosiven Attacke voll durch, wenn er angreift, letzerer kommt nicht so gut mit Beschleunigungen klar und fährt dann auch lieber konstant sein maximales Tempo.
Um die ganzen Vergleiche jetzt so gut es geht zu versachlichen, halte ich den Ansatz die relative Leistung (W/kg) zu bestimmen für sinnvoll. Wenn man die Strava-Aufzeichnung einer Fahrt am Berg hat (nur die Zeit, nicht die gemessene Leistung), geht das meines Erachtens sehr gut: Die Aerodynamik lässt sich nicht gut schätzen, hat aber bei hinreichend steilem Gelände nur einen kleinen Einfluss, Rollwiderstände lassen sich besser abschätzen und sind hier auch etwas bedeutender und die Schätzung der notwendige Steigleistung ist exakt so gut wie die Information zum Gewicht des Fahrers.
Meines Erachtens macht LR das in der Sache durchaus seriös, wenngleich die Kommunikation ein bisschen reißerisch ist und die möglichen Fehlerbereiche nicht abgeschätzt und genannt werden. Bewertungen, dass diese Zahlen einfach nur geraten oder ausgedacht wären sind widerlegbar falsch. Das kann ich ohne großen Aufwand selber rechnen.
In ihrer initialen Rechnung hatten sie nicht das genaue Gewicht des Fahrers, was natürlich zu einem anderen Leistungswert führt. Nach der Korrektur des Gewichts haben sie nochmal nachgerechnet und damit das Ergebnise verbessert. Das ist ein völlig normales Vorgehen bei Simulationen (nichts anderes ist das hier) und nach dem Aufstellen des Berechnungsmodells der wichtigste Schritt. Das als 'Hinfrickeln' zu bezeichnen ist in meinen Augen eine Fehleinschätzung. Was stimmt ist, dass die letzte Transparenz fehlt. Ob sie z.B. nochmal ihren Eingangswert für den Rollwiderstand angepasst haben, um das Ergebnis zu treffen ist nicht ersichtlich.
Mal angenommen, wir würden die relative Leistung (W/kg) kennen: Was fangen wir mit dem Wert an? Wer kann sagen wie breit die Fähigkeit hier an den Rändern der Toptalente hier streuen? Bis wann ist ein solcher Wert glaubwürdig und ab wann 'unmenschlich' und 'außerirdisch'? Auch hierzu habe ich noch keine wirklich sinnvolle Einschätzung gesehen. Ich finde es ehrlich gesagt schon ziemlich spektakulär wie groß die Unterschiede zwischen Hobbfahrer mit ähnlichem Traininsumfang sind...
Jetzt kann man natürlich wieder auf den Vergleich mit Pantani, Armstrong et al. zurückkommen. Aber für deren Ära sind die Leistungswerte viel schwerer zu berechnen, weil weniger Informationen verfügbar sind. Einfach nur die Gesamtzeit nach Alpe d'Huez zu nehmen und daraus die relative Leistung zu berechnen, ergibt dann doch einen zu großen Fehlerbereich.
Fazit dieses überlangen Posts: eine wirklich klare Bewertung scheint mir aktuell nicht möglich. 90% der entsprechende Beiträge sind nicht anderes als die Äußerung von Emotionen und damit für eine sachliche Debatte wohl nicht geeignet. Und so sollte man sie vielleicht auch lesen. Oder besser überlesen.
Dass die meist noch sehr jungen Menschen eben nicht genau wissen welche Folgen ihr mögliches Doping haben wird, ist doch genau das Problem. Die glauben, dass es schon gutgehen wird und andere Menschen verdienen mit diesem Glauben Geld und werden sie entsprechend darin bestärken. Klar, erwachsen sind die meisten ja schon und damit auch für ihr Handeln verantwortlich, aber ganz so schwarz/weiß sehe ich das nicht. Es braucht Dopingregeln und deren Überwachung um die Sportler zu schützen und auch um das Interesse am Profisport zu erhalten. Selbst wenn man dadurch Doping immer einen Schritt hinterherhängt.
Sorry, viel Text, aber so kann ich mich vor meiner wochenendlichen To-Do-Liste drücken...