AW: Winokurow positiv getestet!
Aus Spiegel-Online:
RADSPORT-VISION
Fluchtversuch vor der Schmutzmaschine
Von Frieder Pfeiffer
Tägliche Dopingkontrollen, Nahrungsüberwachung, Treten im medialen Abseits: Die 100. Tour de France im Jahr 2013 ist nach den Skandalen der vergangenen Jahrzehnte von allen Betrügereien gereinigt. Eine Vision - die zeigt, in welche Sackgasse der Leistungssport steuert.
Es ist ein großes Jubiläum, ein lang erwarteter Höhepunkt des Jahres 2013. Zum 100. Mal die Tour de France. Zum 100. Mal Tour der Leiden, Höllentour, Sprintduelle Pedal an Pedal in atemberaubender Geschwindigkeit, Klettertriumphe in über 2000 Meter Höhe. Steile Rampen, rasende Abfahrten. Leistungen, die zur Legende werden. Nie größer als der Mythos Tour. Aber immer größer als der Mensch auf dem Rad.
Es ist ein großes Jubiläum, ein Meilenstein. Eine neue Tour de France. 2000 statt 3000 Kilometer lang, 15 Tagesabschnitte in drei Wochen, Bergetappen mit maximal zwei Anstiegen der ersten Kategorie. Die schwerste Kategorie, als HC (hors catégorie) im Streckenplan ehemals ein Garant für Heldengeburten, ist aus dem Programm genommen. Dafür gibt es mehrere Ruhetage, pro Bergetappe einen.
21 Teams sind auch 2013 noch am Start. Aus finanziellen Gründen schickt jeder Rennstall jedoch nur noch sechs Fahrer nach Frankreich. Zusammen mit den Nationalen Anti-Doping-Agenturen müssen sie für das tägliche Kontrollprogramm ihres gesamten sportlichen Personals aufkommen. Und das, obwohl sich die Team-Budgets ohnehin auf einem historischen Tiefstand bewegen. Sechs Jahre nachdem T-Mobile und das Unternehmer-Konsortium aus der kasachischen Hauptstadt, Astana, zweistellige Millionensummen in ihre Radsport-Equipes fließen ließen, schauen die Teams inzwischen auf jeden Cent.
Dies wirkt sich freilich auch auf die Besetzung der Abteilung Pedaleure aus. Kaum ein Teilnehmer der Tour 2013 ist über 22 Jahre alt, keiner betreibt seinen Sport als Beruf. Denn Geld gibt es selbst bei der Tour de France nicht mehr zu verdienen. Die Startgelder und Werbung an der Strecke reichen für die Finanzierung der dreiwöchigen Rundfahrt aus, Preisgelder gibt es nicht mehr. Der monetäre Druck, siegen zu müssen, ist nurmehr ein Relikt aus der alten Zeit.
Schaulustige stehen nur wenige an der Strecke: Selbst den eigenen Landsleuten sind die jungen Velo-Artisten kein Begriff. Denn sie radeln in medialer Dunkelheit. Ins Fernsehen schafft es der junge Radsport nur in Zusammenfassungen, Bilder gibt es lediglich von den letzten zehn Kilometern jeder Etappe. Für nichtfranzösische Zeitungen lohnt sich die Anreise nicht mehr, kleine Agenturmeldungen unter "Vermischtes" informieren den deutschen Leser vom ehemals größten Ausdauer-Spektakel der Welt. Zieleinlauf ist 2013 in der Pariser Banlieue, die Champs-Elysées passen nicht mehr ins neue Bild der Tour - eine Genehmigung wäre so oder so schwierig gewesen.
Statt Interviews und regelmäßiger Pressekonferenzen geht der Fahrer täglich ins mobile Dopingzentrum. Ein Fahrerprofil gibt nun nicht mehr über Erfolge, Karriereverlauf sowie Stärken und Schwächen Auskunft. In den Sportlerakten findet sich unter anderem die DNA, das Blutbild sowie die genaue Entwicklungskurve des Hämoglobinwerts in Gramm pro Deziliter. Auch eine genaue Auflistung aller dem Körper zugeführten Substanzen samt Nahrung ist Bestandteil der Aktion "gläserner Athlet". Vor der Tour werden die Fahrer gar drei Wochen am Startort einkaserniert.
Keine Sponsoren, kein Druck
Die Überwachung kostet. Zu den 300 Euro, die schon im Jahr 2007 für einen Urintest hingeblättert werden mussten (eine Blutprobe ist mindestens dreimal so teuer), kommen nun noch Kosten für zwei von der Welt-Anti-Doping-Agentur abgestellte medizinische Betreuer pro Team. Die Entlohnung übernehmen die Rennställe sowie die nationalen Anti-Doping-Agenturen. Die Nada bekommt ihr Geld hierfür aus der ehemaligen Spitzenförderung für den Radsport.
Die Rennställe leben von großzügigen Mäzenen - Anhängern des Sports und Fahrrad-Herstellern, die sich mit den basisnahen Teams dem Breitensport empfehlen wollen. Externe Sponsoren sind nicht mehr erlaubt. Sie hatten in der Vergangenheit mit Millionensummen Druck auf die Fahrer ausgeübt, siegen zu müssen - mit allen Mitteln.
Siege werden immer noch gefeiert. Nicht auf Bergpässen und nicht von Millionen Fans vor magentafarbenen Wohnmobilen und in Schwarzwälder Wohnzimmern. Die Gewinner sind Sieger, keine Helden. Ihre Leistungen werden Geschichte, keine Legende. Die Tour ist so groß wie ihre Fahrer.
Und sie ist sauber.
Schnitt.