Prolog:
Die Vorbereitung zum 400er zeigte, dass ich diese Jahr etwas ändern musste, wenn ich noch den üblichen Besuch bei der Verwandschaft einlegen wollte. Wegen Bauarbeiten bei der Bahn konnte ich von dort nicht den nächsten Bahnhofe ansteuern, sondern musste entweder Norden (40 km bis zum Bahnhof) oder Leer (Abfahrt des Zuges eine Stunde später, aber 60 km Anfahrt) zurückfahren. Damit die Fahrt zum Bahnhof noch in den Tag passt, musste es die frühe Abfahrt in Troisdorf werden. Eine ADFC-Tour am Freitag und das Packen der Kleinigkeiten ließen dann noch drei Stunden Schlaf zu. Erstaunlich gut ging das Aufwachen, richtig wach wurde ich beim Blick auf den Niederschlagsradar: Starker Regen auf der linken Rheinseite, der langsam nach Nordnorost zog und um 3:30 ankommen sollte. Er kam auch auf der Fahrt nach Spich an, etwa 3 km vor dem Ziel, aber nur noch als leichter Niesel.
"Zum Schwimmen ans Meer":
Nach Rainers einleitenden Worten mit der Frage nach der Badehose (ich hatte keine dabei) ging es los in die feuchte Nacht. Das erste Stück ist noch halbwegs bekanntes Gelände, trotzdem habe ich es geschafft, kurz vor Schildgen auf der Hauptstraße weiter zu fahren, statt geradeaus der Strecke zu folgen. Als ich es feststelle, sind schon 800 m gefahren, und stelle fest, dass es trocken ist. Nach einer kurzen Überlegung folge ich den Radwegen Richtung Schildgen (an der Paffrather Mühle vorbei - Verwandschaft von Rainer?), und bin auch schnell wieder auf der Strecke. In Altenberg folge ich einem Tipp von
@Renn-Andreas und bleibe auf der L101. Statt der Serpentinen nach Blecher gibt es eine gemächliche Steigung über das offene Bergische Land bei Sonnenaufgang. In Habenichts kreuzt die Landstraße den 200er, dahinter gibt es in glaskarer Luft Aussicht bis zur Nordhelle und zum Siebengebirge. In Bergisch Born ist mit der Balkantrasse die Originalstrecke wieder erreicht. Kurzes Fazit: Die Originalstrecke ist im ersten Teil mit B51 verkehrsreicher und unangenehm zu fahren, die Balkantrasse auf dem 2. Teil verkehrs- und aussichtsfrei. Wuppertal hat auf Grund der frühen Uhrzeit noch wenig Verkehr, da kann auch auf der Wittener Straße bleiben, statt die Norbahn zu nehmen. In Dortmund wird es in der Sonne richtig warm, und Zeit in kurz/kurz weiter zu fahren, sowie die Getränkeflaschen aufzufüllen. In Waltrop ist die Streckenführung geändert. Statt durch den Ort geht es auf einer relativ stark befahrenen Straße am Zentrum vorbei. Immerhin gibt es einen breiten Seitenstreifen, auf dem man unbehelligt vorankommt. Interessant wird es, es als hinter einer Ampel Autos auf dem Streifen parken. Etwas versteckt hängt über dem Ende des Halteverbots auch "Radfahren verboten"-Schild. Die Ausleitung geht auf eine parallele Anwohnerstraße, die man nach 500 m wieder auf einen Bürgersteig an der Hauptstraße mit "Radfahrer frei" verlassen kann. Danach wird der Verkehr schwächer, es rollt gut, bis die Strecke für ein paar Kilometer nach Westen in den Wind geht, um schließlich wieder nach Norden in Richtung Kontrolle abzubiegen.
Hinter Olfen macht die Originalstrecke einen merkwürdigen Haken, statt direkt nach Norden auf gutem Radweg neben der Bundesstraße weiter zu führen In Seppenrade werde ich für diese Variante belohnt, es spart mir eine Baustelle. Flach und zügig, nicht zuletzt wegen des immer noch günstigen Windes, geht es durchs Münsterland. In Dalrup ist Rainers Routenbeschreibung etwas knapp ausgefallen, und ich suche meine vom letzen Jahr heraus. Zusammen mit der blassen Erinnerung ist der Weg klar: Auf nach Billebeck, die Hauptstadt der Baumberge, die letzten Hügel vor der Nordsee, die etwas Abwechslung in die Landschaft bringen. Nach den Baumbergen wird es wieder flach, aber es geht etwas zäher voran. Habe ich zu wenig getrunken, zu spät gegessen? Eigentlich nicht. Die Trittfrequenz passt, aber es geht nur einen Gang kürzer, als bei der flachen Landschaft üblich. Der Wind hat zwar etwas weiter auf West gedreht, aber kommt immer noch von der Seite. Hinter Ochtrup beruhigt sich die Landschaft optisch: Es grinsen keine Politiker mehr von Wahlplakten herab, Niedersachsen ist erreicht. Die Kontrolle in Nordhorn stempelt freundlich die Karte,
@jostein hat sie
eingenordet. Noch etwas Tanken für die Nacht, und weiter geht es im Fußgänger-Slalom durch die Innenstadt und am Kirmesplatz vorbei. Immerhin liegen (noch) keine Scherben auf der Straße. Der kleine Haken zur nächsten Kontrolle in Lohne geht mit dem Wind nach Westen. Statt der geschützen Wirtschaftswege bevorzuge ich dann den Radweg an der Bundesstraße vom letzten Jahr.
In Lohne wird der erste 9-Uhr-Starter gesichtet, der aber wohl sofort weiter fährt. Ich lasse es mir bei einem Glas Weizen und einer Gulaschsuppe gut gehen. Das zähe Gefühl, das ich vorhin hatte, hatten auch andere Fahre so erlebt. Wird wohl doch der Wind gewesen sein. Mit frischen Kräften geht es weiter auf die 48 km lange "Nord-Süd-Straße" durch das Emsland. Das einzige positive Attribut, das ich der Landschaft zuschreiben kann, ist ein meditativer Charakter. Um 19:30 kommt mir
@jostein schon auf seinem Rückweg entgegen. Die Klappbrücke über den Haren-Rutenbrock-Kanal wartet mit einer Überraschung auf: Das südliche Widerlager ist weggebaggert und dicke Bauzäune versperren den Weg. Doch direkt daneben ist eine Schleuse mit Steg (Bild von
@Renn-Andreas ), deren Benutzungsverbot durch Kameras (rechts oben im Bild) streng überwacht wird).
Langsam merke ich die, das Landschaft sehr zum Meditieren anregt, dazu kommt das frühe Aufstehen. Die Trittfrequenz sinkt immer wieder ab, und an schneller fahren ist nicht zu denken. Im Westen werden die Wolken dunkler, im Norden ist noch blauer Himmel. Da der Wind auf Ost steht, sollte das kein Problem werden, aber je weiter es nach Norden geht, werden die Wolken dunkler und kommen näher. Irgendwann fängt es an zu regnen und es wird Zeit, die Regensachen anzuziehen. Erfreulicherweise ist der Schauer nicht besonders kräftig und nach 15 Minuten auch schon vorbei, aber es hat merklich abgekühlt. Die Regensachen bleiben also an und es geht in die Nacht. An manchen geraden Abschnitten sind in der Ferne 2-3 Rücklichter zu sehen, die sich langsam entfernen, beim Blick zurück nur Dunkelheit. In der Nähe von Weener kommen dann doch zwei weiße Lichter ohne Motorenlärm. Zwei Mitradler, die etwas später an einer Bushaltestelle Pause machen. Da es einer der wenigen geschützten Orte weit und breit ist, nutze ich die Gelegenheit auch für Essen und Trinken. Von nun an werden wir uns öfter begegnen. Sie fahren etwas zu schnell für mich, machen aber öfter Pause. Bei einem der Überholvorgänge sehe ich nur ein Rücklicht und sage Bescheid: Die Batterie ist leer. Als er die bei der nächsten Pause hinter Leer wechselt, kommt noch mal ein leichter Regenschauer, aber auch der ist nur leicht und kurz. Der Radweg neben der Straße ist zwar grottig, er hat oft Stellen, an denen Querrillen abgesackt sind und die genauso stören, wie andernorts die Hubbel der Baumwurzeln; aber immer noch besser, auf dem Radweg fahren, als von einem Disco-Raser abgeräumt zu werden: Hinter Oldersum versuche ich, am Ems-Seitenkanal entlang zu fahren, da ich dort vom Zug aus einen passablen Radweg gesehen habe. Es beginnt auch ganz gut, doch bald wird klar, dass das noch in Emden gewesen sein muss. In Petkum breche ich das Experiment ab, und fahre nordwärts zurück zur Originalstrecke. Auf den letzten langen Geraden vor Greetsiel wird die Müdigkeit zu groß, und eine längere Pause muss sein. In der ersten Dämmerung überholt ein schnelles Duo. Mit der Geschwindigkeit, die die beiden drauf haben, könnten das Fahrer aus der 9-Uhr Gruppe gewesen sein. Noch ein Beweisfoto in Greetsiel, und über den Deich geht es am Watt entlang (das Meer ist gar nicht da, also war auch keine Badehose nötig) nach Norddeich. Um 05:30 wird die Zeit auf dem Beweisfoto eingefroren.
Epilog:
Zunächst gemütlich am Deich entlang habe ich dann noch mal auf einer Bank in der Sonne ein Nickerchen eingelegt und bin dann weiter durchs Hinterland. Die Radwege sind dort flächendeckend im selben Zustand, wie der von Emden bis Oldersum. Sogar auf den ehemaligen Bahntrassen (Dornum - Reidump) ist das so, und auf fünf Jahre jungen Wegen sieht man, dass es dort auch bald so sein wird. Die Antwort gab es vom Landwirt beim Frühstück: Der weiche Kleiboden zusammen mit Wühlmäusen und Maulwürfen führen dazu, dass der Boden nachrutscht und Rillen erzeugt, die wie negative Baumwurzeln wirken. Auf der Rückfahrt habe ich dann Straßen ausgesucht, die etwas windgeschützter sind und weniger Radwege haben. Dabei ist mir auch der Trupp
Go-Karts begegnet, die
@jostein am Vortag überholt hat. Die Rückfahrt mit dem Zug war gefühlt sehr kurz. Zwischen Leer und Köln habe ich einen großen Teil des Schlafs nachgeholt