@pjotr
Könnte es aber nicht auch sein, dass sich die Grenze mittlerweile wie auch in vielen Sportarten so langsam nach oben verschoben hat? Gerade auch durch den vermehrten Einsatz von PM etc, wo man viel mehr Trainingsmöglichkeiten hat als früher? Ich bin irgendwie auch der Meinung (als jemand der unter 80kg wiegt), dass 4 oder auch 4,4 W/kg nicht (mehr) so schwer zu erreichen sind.
Die Hypothese, dass PMs und das heute weiter verbreitete Wissen zu Trainingsmethodiken zu einem Leistungszuwachs (im Nicht-Leistungssport) geführt haben und deswegen die Zahl derjenigen, die 4,4 W/Kg erreichen, größer ist als früher, ist zwar nicht unplausibel. Die Empirie sagt aber was anderes. Wenn die Hypothese zuträfe, müsste sich das in Wettkampfergebnissen zeigen, z.B. beim Ötzi. Der bietet eine relativ gute Datenbasis, um sich die Leistungsentwicklung über einen längeren Zeitraum anzusehen, denn die Strecke war von 2003 bis 2019 unverändert, sodass lediglich das Wetter die Ergebnisse beeinflusst und ansonsten Veränderungen in der statistischen Verteilung der Ergebnisse ausschließlich auf das Leistungsniveau der Teilnehmer zurückgeführt werden kann. Anbei eine Auswertung der Verteilung der Finisher-Zeiten für die Austragungen bis 2017 (Wenn ich dazu komme, aktualisiere ich das mal für die fehlenden Jahre)
Man sieht, dass sich die Zeiten für das 1, 2 und 3 Quartil (25, 50 und 75% der Finisher im Ziel kaum verändert hat, im Durchschnitt sind die Teilnehmer also ungefähr gleich schnell. Lediglich die Zeiten für Sieger und Letzten variieren 2007 und 2017 um einige Minuten mehr.
Die relativ konstanten Zahlen bei den Quartilen zeigen übrigens trotzdem eine Leistungsverbesserung, die schlagen sich allerdings nicht in mehr Watt und damit in schnelleren Endzeiten nieder. Die Altersstruktur der Ötzi-Teilnehmer hat sich nämlich seit den Nuller-Jahren deutlich verändert. Waren Mitte der 0er Jahre die Altersgruppen unter 40 am stärksten besetzt, sind es in den letzten Jahren die um und über 50 Jahre gewesen. Hier beim Vergleich 2004 und 2016 zu sehen.
Daraus folgt: Die Teilnehmer sind zwar heute nicht schneller, aber mittlerweile deutlich älter. Im Durchschnitt ist es den TN offenbar gelungen, durch Training die Folgen des Alterns wenigstens teilweise zu kompensieren. Daraus folgt aber nicht, dass die 4,4 W heute leichter zu erreichen sind als früher.
Diejenigen, die hier im Faden behaupten, dass es leicht seit oder leichter geworden sei, mit der FTP über 4 W/Kg zu kommen, gründen diese Aussagen ganz offensichtlich auf eine Wahrnehmung, die auf der Verzerrung durch die eigene Bubble basiert, nicht aber auf breiter Empirie.
Übrigens zeigt ein Blick auf Laufergebnisse, dass die TN bei großen Marathons in den letzten 10 Jahren auch nicht schneller geworden sind, vielmehr ist der Anteil von Läufern, die Marathons unter 3h läuft eher leicht rückläufig, wie man hier am Beispiel der Zeitenverteilung für 2010 und 2022 sehen kann.(Quelle:
http://www.marathon-ergebnis.de/LaufzeitCluster.html)
Noch eine Bemerkung zum Abschluss: Technische Innovationen im Training führen auch nicht immer zwingend zu besseren Leistungen. Für den Laufsport wurde Anfang der Nuller-Jahre mal diskutiert, ob nicht die damals um sich greifende Verwendung von Pulsmessern zu damals schon beobachteten Verschlechterung der Laufzeiten beigetragen habe, weil die Sportler sich nicht mehr adäquat belasteten, um hohe Hf-Werte zu vermeiden. Bin mir nicht mehr ganz sicher, aber wenn ich mich nicht täusche, war Herbert Steffny einer der Proponenten dieser Sicht.