AW: [ESK fährt] Berlino - Mare Baltico
Hier eine ausführliche Zusammenfassung:
Ich erwache um kurz nach 3:00 in der Früh, einer Zeit, die meiner senilen Bettflucht entgegenkommt und mir manche Blicke in das Berliner Nachtleben beschert. Nach einen ausgiebigen Frühstück und einer Ausfahrt mit dem Hund bin ich das erste Mal durchnäßt, doch die Regenwolken sollen sich ja nach Süden verabschieden. Lieber noch einen Espresso und auf den Weg zu Acke, der schon vor der Türe wartet. In Schrittgeschwindigkeit geht nach Gesundbrunnen, auf daß das letzte Wasser auf den Straßen unsere Sitzpolster nicht zu sehr durchweicht. Der Bahnsteig füllt sich mit freudig-erregten Radsportlern, der Zug rollt ein und der Zugbegleiter verteilt uns in mehrere Waggons. Bei der Kontrolle der Billets sage ich wahrheitsgemäß, daß ich auf Tonis Wochenendticket mitfahre. Eine Erhöhung der Anzahl des Mitfahrer während der Fahrt sei nicht möglich, ich solle eine erhöhte Beförderungsgebühr von 80,-€ bezahlen. Ich biete an, der Gerechtigkeit Genüge zu tun und ein ABC-Ticket zu kaufen, der Bahnscherge lehnt ab. Ein Wort gibt das andere, Staubi bemüht die jüngere deutsche Geschichte um ein Gleichnis, plötzlich dürfen doch mehrere ABC-Tickets kaufen. Da nur Scheine gezückt werden und Oranienburg näherrückt, verzichtet der nette Bahnbeamte auf diese Einnahmen und wünscht uns eine gute Fahrt. Möge er lange leben!
Nach diesem Aufreger traue ich meinen noch kleinen Äugelein kaum, als 26 Radfahrer den Bahnhofsvorplatz bevölkern! Einer (IbeB) wird von einer Frau so innig verabschiedet, als würde er zur Ostfront abrücken. Eine kurze Ansprache von mir zum Verhalten bei Gruppenfahrten wird von vielen mit Augenrollen, Scherzen und ununterbrochener Unterhalteung quittiert, Oldboy muß noch mal auf den Topf, mit nur 2 Minuten Verzug gehts aufs Rad. Die Straßen sind trocken, die Luft kalt. Die Radstraße über Bernöwe wird wegen der Gruppenstärke gemieden und stattdessen die Straße genommen. Liebenwalde wird schon bei Sonnenschein erreicht, der Füllstand einer Kolibriblase erreicht (nicht zum einzigen Mal) einen kritischen Bereich. Der Wind schläft noch und so geht es in schönster Zweierreihe Richtung Nord.
Ein mir unbekannter Fahrer mit langjähriger Erfahrung im Radsport erzählt mir, daß er keine Wettkämpfe mehr macht, dies keine Trainingsfahrt für ihn sei, was man bei Gruppenfahrten alles besser machen könne und liegt dabei auf seinem selbstgebauten Monoaufsatz, der aussieht, als wäre ein Besenstiel mit Klebeband an den Lenker befestigt. Kurze Zeit später passieren wir eine Kopfsteinflasterpassage, der einige auf dem Bürgersteig ausweichen. Dort geschieht es. Dank Nichterreichbarkeit der Bremshebel und des schlechten Lenkverhaltens der eben angesprochenen Selbstbaukomponenten, gepaart mit Pech und schlechten Wegverhältnissen kommt es zum Sturz mit stumpfem Einrasten des Körpers an einem immobililen Mauerwerk. Der
Helm bewahrt vor schlimmerem, doch Schlüsselbein und Schulterblatt brechen. Dank modernster Kommunikationsgeräte kann erste Hilfe gerufen werden und sogar die Position ist bekannt. Gute Besserung!
Pirat beschließt hier nach nicht 100km die Tour abzubrechen und den nächstgelegenen Bahnhof mit dem nun aufkommenden Wind zu erreichen. Wir setzen die Fahrt fort, leider ist mir entgangen, daß Artvandelay noch im Krankenwagen weilt. So muß das Feld erst wieder zusammengefahren werden, doch noch sind alle fit. Die Feldberger Seen -und damit eine der reizvollsten Gegenden- werden erreicht und technikhörige Mitfahrer, die satellitengestützte Navigationsgeräte mitführen, versuchen mich vom rechten Weg abzubringen. Doch mein festes Auftreten läßt uns weiter auf dem vermeindlich falschem Weg die Feldberger Senn östlich auf kleinen Landstraßen umfahren und wie von Zauberhand steht auf plötzlich wieder Woldegk ausgeschildert. War die Strecke also doch nicht falsch. Die Ebene hat sich langsam in eine stete Abfolge von Anhöhen verwandelt und Havelchausseerfahrene Fahrer, die meinen, Wind und Hügel zu kennen und bis zur Ostsee gehts sowieso nur flach, werden ruhiger. In Woldegk wird der örtliche Lebensmitteldiscounter niedergebrannt, Jungfrauen stehen gerade nicht zur Verfügung, kaltes Bier auch nicht, so belasse ich es bei einem Stück Kuchen und einem Karamalz. Eine abgesprengte Gruppe kann wieder aufschleißen, gemeinsam gehts weiter. Wieder kommt ein Anstieg und Oldboy schießt am Feld vorbei. Auf die erstaunten Fragen der Mitfahrer antwortet er, er wolle nur mal sehen, was noch geht und verschwindet nach hinten rausfallend am Horizont. Über Friedland wird Anklam und die Tankstelle erreicht, ein letztes Füllen der Wasserflaschen, weiter zum Bahnhof, um noch benötigte Wochenendtickets zu kaufen. Oldboy sitzt schon vorm Bahnhof und möchte den Nachmittag lieber mit seiner Familie verbringen und mit dem Zug nach Hause fahren. Ein anderer Mitfahrer des RAAM-Teams ist plötzlich wieder dabei, er ist von Pernzlau nach Anklam mit dem Zug gefahren. Toni und Sprotte fehlen, ihre Ankunft irgendwann an der Ostsee wird aber als sicher angenommen.
Die Peene querend, verdoppelt sich plötzlich die relative Geschwindigkeit von Körper und umgebender Luft. Letzte Unterhaltungen werden eingestellt, da man seinen Paßmann wegen des Windes auch auf weniger als einen Meter nicht mehr hören kann. Die Zugbrücke zur Insel in Sichtweite, springen 3 Triathleten nach vorne weg, um den Zielsprint über die letzten 30 km zu gewinnen. Staubis Augen verraten Kampfeswillen, IbeBs Beine zucken noch mehr als sonst, Ackes Blase ist voll. So wird statt wilder Verfolgungsjagd eine Pause eingelegt. Bei Mellenthin werden Krampfmeldungen durchgegeben, der Kampf mit den Elementen wird heroisch. Pudagla ist erreicht, die Bäderstraße in Sichtweite, als Schmadde völligen Kontrollverlust meldet. Ich bleibe mit ihm zurück, statt Gnadenschuß helfen auch Getränk und knapp über Schrittgeschwindigkeit auf den letzten 5km. Ankunft am Meer pünktlich um 14:30 - ich hatte schließlich einen Tisch bestellt.
Das vorgeschickte Paket mit Wechselsachen und Handtuch nehme ich in Empfang und begebe mich in die raue See, während die ausgemergelten Großstädter die See nur durchs Kneipenfenster sehen und sich an Kaffespezialtäten laben. Die Küche hat mit unserer größeren Bestellung nicht übermäßig zu kämpfen, doch für die meisten drängt aus verschiedenen (nicht immer nachvollziehbaren) Gründen die Zeit wegen der Abfahrt des ersten Zuges. Statt Slow Food mit Hering satt zu zelebrieren, bleiben halbgefüllte Teller stehen, die Zeit für Abschiedsworte bleibt meist auch nicht, dafür bleiben unzählige Riegelverpackungen umterm Tisch liegen. Die Verbleibenden feiern den Tag und genießen die jetzt einkehrende Ruhe. Plötzlich Rufe der Bewunderung, Sprotte und Toni sind da! Der Lakai wird um Bier und Köm geschickt, darauf muß angestoßen werden!
Die Heimfahrt verläuft besinnlich bei noch ein oder zwei Rostocker Bieren, kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreiche ich Pankow.
Statistik: 10 Bier getrunken, 8 Heringe gegessen, gute 2 kg zugenommen.
Schön wars.
Twobeers