Nachdem hier eigentlich schon alles gesagt wurde, aber halt noch nicht von jedem, will ich jetzt auch.
Ich wohne am Rand einer Möchtegern-Großstadt, deren Gebiet ich nur sehr ungern betrete oder durchfahre, egal, womit und weshalb. Meistens komme ich gut drumrum und habe dann viel kleinteilige Landschaft mit geteerten oder geschotterten Wegen; wenn es sein muss, finde ich jederzeit auch völlig naturbelassene umwaldete ohne ernsthaften Belag.
Normalerweise fahre ich Rennrad, und normalerweise sind meine Räder schon ziemlich alt. Ein besonders toller Fahrer war ich nie und im Gelände bin ich fahrtechnisch sogar eher eine echte Niete. Naja, dachte ich jedenfalls. Deshalb mochte ich eigentlich nie im Wald rumfahren; vor allem nicht dort, wo es zu Fuß schon schwierig wird und dann zu allem Überfluss noch bergab mit Geschwindigkeiten, die normale Leute dort auch auf einer ordentlichen Motocrossmaschine nicht freiwillig erreichen würden.
MTBs finde ich hässlich und habe mich beim Fahren darauf auch nie wohlgefühlt; das um so weniger, je mehr "Geschisse" da dran und je "moderner" die Geometrie war. Also Fullies mit wahnwitzigen Federwegen, Scheibenbremsen, absenkbarer Sattelstütze und Lenkwinkeln, die man nicht mal bei ausgewachsenen Motorrädern findet - brrr. Dafür bin ich einfach nicht gemacht ( = schnell genug) und würde mir deshalb auch ziemlich lächerlich darauf vorkommen.
Andererseits fahre ich meinen relativ langen Arbeitsweg manchmal gern auf dem Rad und kann dabei Feldwege nicht ganz vermeiden. Und nach Italien zur Eroica wollte ich vor vielen Jahren auch unbedingt mal.
Auf einigermaßen handelsüblichen Feldwegen kam ich mit einem ganz normalen Uralt-Rennrad und etwas breiteren Straßenreifen um die 30-35 mm gut zurecht und habe deshalb mein "Italienrad" anschließend mit Schutzblechen, Gepäckträger und ordentlicher Beleuchtung garniert. Trotz antiquierter Technik und komplett fehlender Farbe (ja! Rost!) wurde es zu meinem liebsten und am häufigsten genutzten Rad:
Dabei habe ich einige grundlegende Vorteile festgestellt:
- Ich kann damit eigentlich überall problemlos fahren, wo ich im Alltag eben fahren will (nötige Wege und sinnvolle Abkürzungen).
- Ich komme damit überall einigermaßen zurecht, wo ich eben fahren kann (persönliche Fähigkeiten als Fahrer).
- Auf dem vergammelten Scheißding werde ich grundsätzlich von jedem "richtigen" Rennradfahrer unterschätzt oder mitleidig angeschaut, also habe ich meine Ruhe und muss niemandem irgendwas beweisen. Und wenn doch, könnte ich immer darauf hinweisen, dass ich ja auf dem fast vierzigjährigen Tourenpanzer doch wohl ganz grundsätzlich im Nachteil wäre und so. Das entspannt.
- Einem alten Freund auf seinem neuen Gravelbike konnte ich damit überall gut folgen.
Weil ich im Winter meistens überhaupt nicht gefahren bin, vor allem nicht bei eiskaltem Wind und Regen stundenlang auf der Straße, wollte ich irgendwann dann doch mal in den Wald. Für eine Stunde oder etwas mehr, immer beinahe in Rufweite meiner Bude und dafür dann aber gern richtig anstrengend.
Das lief mit diesem Ding garnicht mal schlecht und ich war erstaunt, wie gut ich mich damit in einer Gruppe "echter" Mountainbiker geschlagen habe:
Für den echten Dreckseinsatz wollte ich dann aber auch ein echtes Drecksrad, an dem mich Schäden und Dreck eben nicht stören. Das wurde dann die Rote Ratte, weil sie eigentlich nicht passt, vollkommen beschissen gefertigt ist und mich auch der Totalverlust nicht stören würde (hey, auf der Straße fährt das Ding nicht mal richtig geradeaus!). Außerdem war das DIE Gelegenheit, endlich mal was Sinnvolles mit meinem einzigen Satz Schlauchreifenfelgen anzufangen.
Erkenntnis:
- 34er Crossreifen passen noch bequem durch lange Mittelzugbremsen.
- Lange Mittelzugbremsen reichen zum Dosieren der Geschwindigkeit auf abgelegenen Waldwegen jederzeit aus.
- Bergab braucht man dafür aber den Unterlenker, um ordentlich an den Hebeln ziehen zu können.
- Also "Drop bar".
- Und so ein Rennlenker sieht natürlich auch einfach viel cooler aus.
- Es reicht völlig, nur hinten zu schalten. Dort dürfen es dann aber gern 10 oder 11 Ritzel sein.
- Die Kombination 42 - 12-34 deckt wirklich alles ab, was ein normaler Mensch abseits der Straßen mit so einem Rad noch sinnvoll fahren kann. Bergab muss er nicht mit 60 Sachen durch den Matsch prügeln und bergauf ist er zu Fuß schneller, wo der erste Gang nicht mehr reicht. Das ist dort dann meistens auch sinnvoller und angenehmer.
- 34er Schlauchreifen mit wenig Druck und gescheitem Profil greifen unter allen Bedingungen auch dort noch gut, wo mich schon längst der Mut oder die Kräfte verlassen würden. Dafür kleben sie aber im Matsch nicht so fest, wie Zweieinhalbzöller am MTB (ich hatte mehrfach den direkten Vergleich).
- Der Hinterbau dürfte gern kürzer und der Lenkwinkel steiler sein, um bei den typischen Geschwindigkeiten etwas Beweglichkeit zu gewinnen und bergauf länger im Wiegetritt fahren zu können. Die aktuellen Gravel-Geometrien gehen dummerweise genau in die andere Richtung.
- Natürlich werde ich auch auf diesem Ding überall belächelt und nicht ernstgenommen. Das entspannt.
- Crossrad kann man das nicht nennen, weil es dafür nie gedacht war und auch zu träge ist. Außerdem hat es Mittelzugbremsen. Und der Fahrer könnte überhaupt nicht ernsthaft crossen.
- Gravelbike kann man das nicht nennen, weil es dafür viel zu alt und uncool ist.
- Rennrad kann man das nicht nennen, weil es Crossreifen hat.
- Tourenrad kann man das nicht nennen, weil es einen Rennlenker und keine Gepäckträger hat.
- Mir ist das egal und ich amüsiere mich köstlich darüber.
- Und das Wichtigste: Selbst dieser alte Dreckseimer aus geschenkten Teilen kann im Gelände überall und jederzeit deutlich mehr, als ich.
Im Vergleich zu durchschnittlichen MTBs auf durchschnittlichen Wegen mit ebenso durchschnittlichen Fahrern schneidet diese Kombination immernoch gut ab, manchmal sogar besser.
- Mit Marketing-Sprech habe ich beruflich jeden Tag zu tun und es nervt mich echt brutal. Allein schon deshalb könnte ich ein "Gravelbike" in meiner Sammlung nur schwer ertragen.
- Warum also viel Geld fürs Neueste und Tollste ausgeben?
Zur Problematik des Eröffnungsposts könnte ich noch sagen:
- Schlecht oder überhaupt nicht erzogene, kleine bis mittelgroße Hunde nerven hier in allen Bereichen schon seit einigen Jahren echt brutal, und es werden immer mehr. Sie gehören hier zu einer ganz bestimmten, relativ eng umrissenen Gruppe von Menschen.
- Diese Menschen gehen mit ihren Fiffies normalerweise nicht im Wald und schon garnicht bei schlechtem Wetter spazieren. Wo ich mit dem
Gravel Cross Renn Vintage komischen Rad fahre, sind sie mir also nicht im Weg. Sie nerven in erster Linie auf Radwegen.
- Die coronösen Sonderregelungen führten hier im Frühjahr zu unerträglichen Menschenmassen auf allen Wegen, aber das hat sich längst wieder gelegt.
- Mit Autofahrern habe ich generell nicht viele Probleme.