Also ich freu' mich schon riesig auf die weitere Dokumentation hier und habe es beim Rahmenbau auch selbst so gemacht, wie sonst überall:
- Idee haben
- lange, oft und an verschiedenen Stellen nachlesen
- beobachten, messen, vergleichen
- Idee verfeinern
- und dann einfach erstmal mit billigsten Hilfsmitteln loslegen
- nach und nach bessere Werkzeuge und Hilfsmittel anschaffen, wenn deren Sinn eindeutig nachvollziehbar ist
- bei all dem immer wieder mal von echten Profis inspirieren lassen, ggf. Rat holen, aber auch dort nicht alles unhinterfragt hinnehmen
- lieber nicht auf Nachbarn und Bekannte hören, die sich damit aufdrängen, etwas ganz besonders gut zu wissen oder zu können - meistens ist das Bullshit, und der kann echt teuer werden
Meistens funktioniert das bei mir, aber buchstäblich jeder einzelne Arbeitsschritt in den folgenden Jahren dient dem weiteren Lernen. Im Beruf ist das bis heute so und bleibt es immer, bei Fahrrädern eigentlich auch und auf Autos habe ich zur Zeit mal keinen Bock, aber ja, da wäre es genauso. Sogar bei einfachen handwerklichen Sachen wie Tapezieren, Verputzen, Regale bauen usw. gibt es eigentlich nie
den universellen und endgültigen Stand von Wissen und Fähigkeiten, aber es schadet nur sehr selten, sich zu trauen und einfach mal damit anzufangen.
Was mich persönlich einige Male überrascht hat, war das Gefühl schon vor dem ersten Versuch, eine bestimmte Sache irgendwie hinzukriegen und zu verstehen oder eben auch nicht (Schweißen, Tanzen, Ballsportarten - ohgottohgott). Beides stimmte eigentlich immer.
Was ich bei Rahmengeometrien mittlerweile interessant finde und vor 30 Jahren selbst nicht geglaubt hätte: Verschiedene Wege führen unter Umständen zum gleichen Ziel, also unterschiedliche Kombinationen von Winkeln und Längen zu vergleichbarem Fahrverhalten. Dazu hatte ich an verschiedenen Stellen immer wieder mal was geschrieben und fasse es bei Gelegenheit gern mal zusammen.
Aber erstmal ganz, ganz kurz zum Thema hier:
Ich finde es prima, dass Du eine ganze Reihe persönliche bekannter (Lieblings)Räder genau vermessen hast und auf dieser Basis interpretierst. Sinnvoller geht es eigentlich nicht.
Welche Eckdaten der Geometrie nun die weitere Vorgehensweise bestimmen, hängt in erster Linie vom Verwendungszweck ab:
Soll das Rad z.B. sportlich bis ruppig in echtem
Gelände bewegt werden, ist die
Tretlagerhöhe über dem Boden ein zentrales Argument.
Soll es viel
Gepäck an einer bestimmten Stelle tragen, werden dort die Längenverhältnisse wegen der
Gewichtsverteilung besonders interessant.
Der
Sitzrohrwinkel ist dagegen eher nebensächlich, solange keine ganz spezielle Sitzposition wie beim Zeitfahren gewünscht wird: Die horizontale Verstellmöglichkeit des Sattels auf der Stütze macht fast alles zwischen ca. 71 und 74 ° irgendwie passend. Das kann man ausnutzen, um z.B. mit einem etwas steileren Sitzwinkel ein besonders filigranes Oberrohr etwas kürzer zu machen.
Wichtig ist dabei nur, die persönlich "erfahrene" Sitzposition samt Sattellänge korrekt auf der Zeichnung einzutragen: Wie hoch ist die Satteloberkante überm Tretlager, wie weit ist die Sattelspitze dahinter? Dann sieht man gleich, ob das mit dem gewünschten Winkel umsetzbar ist.
Ganz kurzer Seitenhieb, Vorbiegung und Nachlauf:
Anhang anzeigen 939424
Die Vorbiegung der Gabel entscheidet zusammen mit dem Lenkwinkel über den Nachlauf.
Nachlauf ist der Hebelarm, der das Vorderrad geradeaus halten will: Je mehr Nachlauf, desto geradeauser.
Je flacher der Lenkwinkel, desto größer wird der Nachlauf.
Je weiter die Gabelvorbiegung, desto kleiner wird er.
Größere Räder bzw. dickere
Reifen ergeben bei gleicher Grundgeometrie mehr Nachlauf, kleinere Räder verringern ihn.
Irgendwo zwischen 40 und 70 mm an irgendwas zwischen 71 und 74 ° ist das meiste in der Regel fahrbar und eine Frage der persönlichen Vorlieben und des Einsatzzwecks.
Tendenziell gilt:
- eher viel Nachlauf an steilen Lenkwinkeln
- eher wenig Nachlauf an flachen Lenkwinkeln
- eher weniger Nachlauf bei viel Gewicht auf der Vorderachse (Rennrad mit kurzem Vorderteil oder normales Rad mit Gepäck auf Frontträger)
- eher mehr Nachlauf bei entlasteter Vorderachse (Gravelbike mit langem Vorderteil und entspannter Sitzposition oder Reiserad mit Gepäck auf Hecktäger)
- besondere Verhältnisse bei schneller Bergabfahrt/Downhill-MTB durch die Gewichtsverlagerung nach vorn