Eine neue Review zur alten, aber immer wieder spannenden Frage, ob Training über oder unter "der Schwelle" den größten trainingsmethodischen Nutzen bringt.
Die Autoren haben Daten aus 14 Studien, mit zeitlich befristeten Trainingsinterventionen bei trainierten Sportlern, in einem Datensatz zusammengefasst und statistisch ausgewertet.
Mit in den ausgewerteten Studien sind u.a. auch bekannte Werke, wie die auch hier immer wieder mal diskutierten Studien von Stepto und Seiler zu verschiedenen Intervalltrainingsprogrammen.
Alle berücksichtigen Studien vergleichen Training über und unter dem "Maximal Metabolic Steady State" MMSS miteinander. Der Begriff MMSS dient in der Review als Sammelbegriff, um die verschiedenen in der Literatur üblichen Schwellenkonzepte (MLSS, VT2, FTP, CP etc. pp.) zusammenzufassen und dadurch Training über oder unter "der Schwelle" zuordnen zu können.
Untersucht wurde, wie sich die Trainingsinterventionen auf VO2max, Wpeak (Abbruchleistung in einem Stufentest) und die Performance in simulierten Zeitfahren (Time Trial / TT) auswirken.
Nach Analyse der Daten kommen die Autoren zu der Aussage, dass alle berücksichtigten Studien von der Probandenzahl erheblich zu klein dimensioniert sind, um statistisch sicher auf bestimmte Effekte aus den Trainingsprogrammen zu schließen. Um die in den Studien ermittelten positiven Effekte bestimmter Trainingsinterventionen statistisch sicher belegen zu können, müsste die Probandenzahl zumeist ein Vielfaches der tatsächlichen Probandenzahl betragen!
Durch Zusammenfassung der Studien lässt sich der Mangel der fehlenden statistischen Aussagekraft allerdings beheben. Die übergreifende statistische Auswertung bestätigt dabei, dass Training über dem MMSS ("Schwelle") einen positiven Effekt auf die VO2max hat. Das ist zunächst wenig überraschend, interessant ist aber, dass sich dieser Effekt unabhängig vom gewählten Trainingsmodus (Laufen, Radfahren, Rudern) und offenbar auch unabhängig vom Design der Intervention (also eines konkreten Intervalltrainingsprogramms) zeigt. Anders gesagt: Aus den verfügbaren Studien lässt sich ableiten, dass Training über dem MMSS einen Effekt auf die VO2max hat, aber nicht sicher, wie dieses Training konkret gestaltet werden muss.
Bei den anderen beiden betrachteten Variablen, Wpeak und TT-Performance, konnte kein sicherer Effekt von Training über dem MMSS ermittelt werden. Man kann also zwar nachweisen, dass intensives Training über "der Schwelle" die Sauerstoffaufnahme verbessert, dies aber weder zwangsläufig zu einer höheren Abbruchleistung im Stufentest führt, noch zwingend die TT-Performance verbessert. Woran das liegt, ist nicht völlig klar, eine mögliche Erklärung für die fehlende Performance-Verbesserung bei TTs liegt möglicherweise darin, dass es bei TT nicht nur auf physische Fitness ankommt, sondern auch darauf, sich das TT richtig einzuteilen, um die maximale Leistung abrufen zu können. Gerade wenn Probanden TTs nicht gewohnt sind, liegt hier ein großes Fehlerpotenzial, denn ohne Erfahrung kann man ein TT zu hart oder zu leicht angehen und dann am Ende nicht die eigentlich physiologisch möglichen Watt abrufen können. Um TTs zur Ermittlung von Leistungsverbesserungen einsetzen zu können, ist es daher nötig, dass die Probanden die Möglichkeit bekommen, sich vor den initialen Tests mit TT vertraut zu machen und diese zu üben.
Eine andere mögliche Erklärung liegt nach den Erörterungen der Autoren darin, dass die Dauer der Trainingsinterventionen in den berücksichtigten Studien, die in der Regel nur Wochen bis wenige Monate betrug, nicht ausreicht, um den erzielten Zuwachs in der Sauerstoffaufnahme auch metabolisch so nutzen zu können, dass daraus eine höhere TT-Leistung oder Abbruchleistung resultiert. Hintergrund der Überlegungen ist, dass die mögliche Dauerleistung (etwa in einem TT) als dauerhaft realisierbarer Anteil der VO2max angesehen werden kann. Wie groß dieser Anteil ist, hängt maßgeblich von muskulären Faktoren ab. Wenn man vor einer Trainingsintervention 80% seiner VO2max als Dauerleistung realisieren kann und steigert durch eine entsprechende Trainingsintervention seine VO2max, ist nicht garantiert, dass man nach der Trainingsintervention weiterhin 80% der VO2max als Dauerleistung realisiert kann und damit die Dauerleistung quasi automatisch in gleichem (prozentualem) Umfang steigt, wie die VO2max. Vielmehr ist es nötig, durch geeignetes Training, die höhere Vo2max auch in eine höher Dauerleistung "umzusetzen".
Die Autoren sehen das als starkes Argument für langfristige Periodisierung von Training, also für eine langfristige Struktur, bei der sich Phasen mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Training abwechseln. Die Diskussion der Autoren fügt sich hier an Periodisierungs-Überlegungen, die schon früher von Coggan und anderen, z.B. auf der Wattage-Liste, erörtert wurden. Nach diesen Ideen sollten sich Phasen mit VO2max-Fokus mit Phasen, die stärker auf die realisierbare Dauerleistung zielen, abwechseln, also z.B. Phasen, in denen vermehrt z.B. 5*5 min. L5 trainiert wird, mit solchen, in denen längere Intervalle (2*20 min. etc.) trainiert werden. Während die 5*5 min. darauf zielen, die VO2max, zu erhöhen, soll die längeren Intervalle den Stoffwechsel in der Muskulatur so konditionieren, dass ein möglichst hoher Anteil der VO2max als Dauerleistung abgerufen werden kann.
Tatsächlich verweisen die Autoren der hier vorgestellten Review auf eine andere Review, die zeige, dass für die Entwicklung der TT-Leistung die Zeit >MMSS wichtiger ist als die Intensität > MMSS. Ich habe diese Arbeit zwar noch nicht gelesen, aber scheinbar spricht dies dafür, dass man die TT-Leistung am besten über längere Intervalle knapp über der MMSS/Schwelle entwickelt.
Alles in allem eine sehr interessante Arbeit mit vielen Punkten, die zum Nachdenken anregen und der erneuten Bestätigung, dass statistische Aussagekraft viele trainingsmethodischer Interventionsstudien aufgrund der geringen Zahl von Probanden begrenzt ist. Das sollte man, wenn man einzelne Studien betrachtet, im Blick behalten. Das Problem zu geringer Probanden-Anzahl ist dabei nicht auf die in der Review berücksichtigen Studien beschränkt, sondern gilt wohl für praktisch fast alles, was in den letzten Jahrzehnten an experimentellen Studien zu Intervalltraining veröffentlicht wurde. Dabei ist das Problem je größer, je besser trainiert die Probanden vor Studienbeginn bereits sind. Je besser die Fitness der Probanden vor Studienbeginn, desto kleiner die zu erwartenden Effekte eines Trainingsprogramms, desto mehr Probanden werden benötigt, um statistisch gut abgesicherte Effekte nachweisen zu können.
In der Review diskutieren die Autoren auch Möglichkeiten, wie man dieses Problem mit den kleinen Probandenzahlen lösen kann und schlagen dafür u.a. den Rückgriff auf Online-Trainingsplattformen vor, über die man Teilenehmer in Studien integrieren könne (ohne sie für jede Trainingssessions ins Labor zu holen, um sie z.B. auf einem Ergometer ein vorgegebenes Intervallprogramm fahren zu lassen.)
Hier geht es zum lesenswerten Volltext:
https://www.researchgate.net/public...ematic_Review_Meta-analysis_and_Reality_Check