Vorbereitung auf den Giro d’Italia - Viele Wege führen nach Rom (oder Mailand … oder Turin)
Ich hatte heute wieder das Vergnügen
längerer Bahnfahrten. Immerhin eine gute Gelegenheit zum Lesen, zum Beispiel eine interessante Studie zur Vorbereitung von drei GT-Fahrern, die im Giro in den Jahren 2015-2018 in den Top 5 finishten (Wer diese drei Sportler sein könnten, unten mehr. ) Ob man daraus etwas für das eigene Training lernt sei dahingestellt, interessant ist die Darstellung aber durchaus, wie ich finde.
Link zum Volltext
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9796663/
Alle drei Fahrer fallen erwartungsgemäß durch ihre herausragenden physiologischen Werte auf, VO2max lag bei 80-82 ml/min/kg, 20 min.-Leistung bei 6,4-6,6 W/Kg
Die Studie umfasst die ~22 Wochen vor dem Giro.
Gemeinsam ist der Vorbereitung der drei Radsportler, dass
- das Training überwiegend eine pyramidale Intensitätsverteilung aufwies
- die Polarisierung in der Vorbereitung tendenziell zunahm, je näher der Giro rückte oder wenn Vorbereitungsrennen im Programm standen
- die Verteilung von hochintensiven Trainingsblöcken stark durch die Rennplanung bestimmt wurde
- kein Krafttraining im Untersuchungszeitraum absolviert wurde, scheinbar entgegen den Empfehlungen der Trainer der drei Radsportler!
- sich das Tapering für den Giro von den in der Literatur gängigen Empfehlungen deutlich unterschied (etwas, was eine andere Studie auch schon für die Vorbereitung von olympischen Sportlern für die Zeit vor ihrem Medaillengewinnen berichtete).
Die Daten legen den Schluss nahe, dass mehr Renntage in der Vorbereitung zu einem insgesamt geringeren Umfang führen. Das erscheint wegen der nach Wettkämpfen nötigen Erholung plausibel. Darüber hinaus zeigt die Studie recht unterschiedliche Vorbereitungswege, die sich bei Umfang (durchschnittlich 14,7-19,7h/Woche), Anzahl de der Renntage (17-29) und Integration von Höhentrainingslagern (0, 39 und 55 Tage ) unterscheiden, aber auch in der Anordnung der intensiven Trainingsblöcke.
Die Höhentrainingslager wurden offenbar in einer Höhe von rund 2800m absolviert. Die Studie weist darauf hin, dass dies etwas höher sei, als die üblichen Literaturempfehlungen (max 2500 m) und verweist darauf, dass die beiden Sportler, die diesen Weg wählten „altitude natives“ seien was wohl die negativen Auswirkungen der sehr großen Höhe abgemildert habe.
Es gibt zu der Studie noch eine verwandte Arbeit vom gleichen Autorenteam, die offenbar auf den gleichen Daten fußt und noch tiefere Analysen des Trainings umfasst, mir aber leider im Volltext bislang nicht vorliegt . Einige Schlussfolgerungen daraus finden sich hier
https://twitter.com/Gareth_Sandford/status/1760407323707945448
Herauszuheben dabei insbesondere, dass höher Intensitäten regelmäßig im Rahmen längerer Einheiten absolviert wurden und falls an zwei Tagen hintereinander intensiv trainiert wurde, am dritten Tag meist eine eher lockere Einheit folgte. Eine mögliche Schlussfolgerung hieraus, die wohl auch für Hobbysportler interessant ist, wäre, dass hohe Intensität sehr dosiert eingesetzt werden sollte. Nicht überraschend, geht im HIT-Hype aber leicht unter.
Wer sind die Radfahrer?
Bleibt die Frage, wer die drei Fahrer sind. Dazu meine Überlegungen: Bei den beiden Sportlern, die im Zuge der Analyse der Höhentrainingslager als „altitude native“ bezeichnet werden, handelt es sich sehr sicher um Südamerikaner (mir fallen mir keine Radsportler ein, die außerhalb von Südamerika in großen Höhen geboren wurden und aufgewachsen sind.)
Da die Daten aus den Jahren 2015-2018 stammen sollen, kommen daher Andrey Amador (4 Platz beim Giro 2015), Eesteban Chaves (2. 2016), Nairo Quintana (2. 2017), Miguel Angel Lopez (3. 2018) und Richard Carapaz (4. 2018) in Betracht. Alle genannten sind auch tatsächlich in höher gelegenen Orten geboren.
Amador ist allerdings größer und schwerer als die Angaben zu den Fahrern in der Studie. Der scheidet daher aus.
Bei dem in der Studie als „C“ kodierten Sportler scheint es sich nach Größe und Alter um Richard Carapaz zu handeln, der ist Jahrgang 1993, Alter im Analysejahr war laut Studie 25 Jahre, 2018 wurde Carapaz 4 im GC und im Mai 25 Jahre alt Außerdem hatte er vor dem Giro laut PCS, wie in der Studie angegeben, 29. Renntage.
Fahrer „B“ scheint Quintana sein. Das passt von Größe und Gewicht wenigstens ungefähr. Der wurde 2017 2., war damals 27, was ebenfalls mit der Studie übereinstimmt, hatte in der Vorbereitung zum Giro laut Studie drei Eintagesrennen bestritten, was laut PCS ebenfalls für Quintana zutrifft, und war ab Mitte März bis April 2017 nicht im Rennbetrieb, was zu den Angaben zu einem Höhentrainingslager einige Wochen vor dem Giro in der Studie passt. Vermutlich war er da Zuhause in Kolumbien (könnte man sicher anhand alter News prüfen, habe ich nicht gemacht.)
Beim Fahrer „A“ scheint es sich um Mikel Landa zu handeln. Wir wissen, dass die Daten laut Autoren aus den Jahren 2015-18 stammen. Da wir schon Fahrer gefunden haben, die 2017 und 18 unter die Top 5 fuhren, muss der fehlende Fahrer „A“ 2015 Top 5 gewesen sein. Alter, Größe etc. passen da am besten (wenn auch nur ungefähr) zu Mikel Landa aus der damaligen Top 5. Landa hatte damals laut PCS 17 Renntage vor dem Giro, was zu den Angaben in der Studie passt.
Sollte ich mit meinen Vermutungen bezüglich der Fahrer recht haben, wäre das nach meinem Wissen das erste Mal, dass für so viele noch aktive Top-Fahrer eine derartige Darstellung des Trainings veröffentlicht wurde.
Ein Ausschnitt aus den Daten