ennio_99
Aktives Mitglied
(Autor Henri Lesewitz stammt wie Jan Ullrich aus der DDR, ist begeisterter Radsport-Fan und Redakteur bei der Zeitschrift BIKE)
Für einen seligen Moment war alles wie früher: Kaffee, Süßgebäck, Gedränge vorm Fernseher. Dann, Attacke Ullrich: Schwarze Journalistenschafe, Funktionärs-Stümper und Scharping, dieser Schulterklopfer – alle schuld! Ich hustete den Kaffee aus der Luftröhre und starrte gebannt auf meinen Lieblingsradsportler, der sicher gleich den Dopingschleier in Fetzen reißen würde, der seit einem halben Jahr über seiner Zukunft schwebte. Über unserer Zukunft. Denn was hatten wir zwei nicht schon alles zusammen durchlitten – er im Sattel, ich auf dem Sofa. Bei der Tour würden wir es den Lästermäulern schon zeigen, die mit Vorverurteilungen herumgesudelt hatten, obwohl nichts bewiesen war. Wegen ein bisschen Tütenblut in einem spanischen Kühlschrank. Nun würde Ulle die entlastende DNA-Analyse auf den Tisch knallen und sein neues Tour-Team präsentieren, da war ich mir nach seinem Blitzstart in die live übertragene Pressekonferenz sicher. Dann der Schock: Rücktritt zugunsten von Händeschütteln, Unterwäsche und Reifendichtmitteln! Und dann stellte er den 150 Presseleuten den Ton ab: Fragen unerwünscht!
Warum, das wurde am selben Abend bei Ullrichs Beckmann-Debakel klar. Seither bin ich traurig. Depressiv. Leer. Mein größtes Sportidol Jan Ullrich hat mich mit dem Glauben an seine Unschuld allein gelassen, sich einfach davongeschlichen. Er hat sich der Verantwortung wie Sperrmüll entledigt, ohne eine Antwort auf die Frage zu geben, die berechtigt ist von Seiten der Öffentlichkeit, deren Interesse er Ruhm und Reichtum verdankt: Hat er nun gedopt oder nicht? Ich kann es immer noch nicht fassen: War das an diesem 26.Februar derselbe, für den ich jahrelang drei der schönsten Sommerwochen im abgedunkelten Wohnzimmer vor dem Fernseher verbracht habe? Für den ich die Beziehung mit meiner Freundin riskiert habe, weil mir die nächtlichen Etappen-Zusammenfassungen wichtiger waren als die angebotenen Rückenmassagen? Nein, das kann nicht derselbe gewesen sein. Der Mann im Fernsehen wirkte verdruckst, vertuschend, feige. Vielleicht war es ja sein Blut im spanischen Kühlschrank, vielleicht auch nicht. Inzwischen ist das für mich zweitrangig. Der respektlose Umgang mit seinen Fans wiegt schwerer. Es gibt einfach keinen Grund, einen derart schillernden Mythos wegen einer Sache zu zerstören, die sich hätte klären lassen. Vor Jahren wurde ein Autohändler umgebracht, der mich in der Kundenkartei führte. Am Tatort fand man einen Kaugummi. Als die Kripo vor meiner Haustür stand, gab ich an Ort und Stelle eine Speichelprobe ab. Freiwillig. Ich wusste ja, dass ich nicht der Mörder war. Am Tag darauf war mein Name von der Liste der Verdächtigen gestrichen.
Und nun? Vielleicht werde ich beim Tour-Start eine Kerze anzünden, als Erinnerung an die schöne Zeit. Die Tage vor dem Fernseher werden für mich nie mehr so sein wie früher. Egal wie der Fall Ullrich nun letztendlich ausgeht.
...
Kommentar von meiner Seite: Der Autor spricht mir aus dem Herz und seine Formulierungen sind gut und treffend. Bin aber nach wie vor Ulle-Fan, aber auch irgendwie leer. Ich hätte Ulle nochmal zum Abschied/Rücktritt gern auf dem Rennrad gesehen. Das Potenzial hat er allemal dazu gehabt, mit oder ohne Doping.
Gruß
ennio_99
Für einen seligen Moment war alles wie früher: Kaffee, Süßgebäck, Gedränge vorm Fernseher. Dann, Attacke Ullrich: Schwarze Journalistenschafe, Funktionärs-Stümper und Scharping, dieser Schulterklopfer – alle schuld! Ich hustete den Kaffee aus der Luftröhre und starrte gebannt auf meinen Lieblingsradsportler, der sicher gleich den Dopingschleier in Fetzen reißen würde, der seit einem halben Jahr über seiner Zukunft schwebte. Über unserer Zukunft. Denn was hatten wir zwei nicht schon alles zusammen durchlitten – er im Sattel, ich auf dem Sofa. Bei der Tour würden wir es den Lästermäulern schon zeigen, die mit Vorverurteilungen herumgesudelt hatten, obwohl nichts bewiesen war. Wegen ein bisschen Tütenblut in einem spanischen Kühlschrank. Nun würde Ulle die entlastende DNA-Analyse auf den Tisch knallen und sein neues Tour-Team präsentieren, da war ich mir nach seinem Blitzstart in die live übertragene Pressekonferenz sicher. Dann der Schock: Rücktritt zugunsten von Händeschütteln, Unterwäsche und Reifendichtmitteln! Und dann stellte er den 150 Presseleuten den Ton ab: Fragen unerwünscht!
Warum, das wurde am selben Abend bei Ullrichs Beckmann-Debakel klar. Seither bin ich traurig. Depressiv. Leer. Mein größtes Sportidol Jan Ullrich hat mich mit dem Glauben an seine Unschuld allein gelassen, sich einfach davongeschlichen. Er hat sich der Verantwortung wie Sperrmüll entledigt, ohne eine Antwort auf die Frage zu geben, die berechtigt ist von Seiten der Öffentlichkeit, deren Interesse er Ruhm und Reichtum verdankt: Hat er nun gedopt oder nicht? Ich kann es immer noch nicht fassen: War das an diesem 26.Februar derselbe, für den ich jahrelang drei der schönsten Sommerwochen im abgedunkelten Wohnzimmer vor dem Fernseher verbracht habe? Für den ich die Beziehung mit meiner Freundin riskiert habe, weil mir die nächtlichen Etappen-Zusammenfassungen wichtiger waren als die angebotenen Rückenmassagen? Nein, das kann nicht derselbe gewesen sein. Der Mann im Fernsehen wirkte verdruckst, vertuschend, feige. Vielleicht war es ja sein Blut im spanischen Kühlschrank, vielleicht auch nicht. Inzwischen ist das für mich zweitrangig. Der respektlose Umgang mit seinen Fans wiegt schwerer. Es gibt einfach keinen Grund, einen derart schillernden Mythos wegen einer Sache zu zerstören, die sich hätte klären lassen. Vor Jahren wurde ein Autohändler umgebracht, der mich in der Kundenkartei führte. Am Tatort fand man einen Kaugummi. Als die Kripo vor meiner Haustür stand, gab ich an Ort und Stelle eine Speichelprobe ab. Freiwillig. Ich wusste ja, dass ich nicht der Mörder war. Am Tag darauf war mein Name von der Liste der Verdächtigen gestrichen.
Und nun? Vielleicht werde ich beim Tour-Start eine Kerze anzünden, als Erinnerung an die schöne Zeit. Die Tage vor dem Fernseher werden für mich nie mehr so sein wie früher. Egal wie der Fall Ullrich nun letztendlich ausgeht.
...
Kommentar von meiner Seite: Der Autor spricht mir aus dem Herz und seine Formulierungen sind gut und treffend. Bin aber nach wie vor Ulle-Fan, aber auch irgendwie leer. Ich hätte Ulle nochmal zum Abschied/Rücktritt gern auf dem Rennrad gesehen. Das Potenzial hat er allemal dazu gehabt, mit oder ohne Doping.
Gruß
ennio_99