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Gelöschtes Mitglied 82496
Versuch einer Ergänzung von Platons "Gastmahl"
Als nun die meisten eingeschlafen oder gegangen waren, setzten sich Sokrates, Agathon, Aristophanes und Klytos, der Sohn des Alabander, zusammen.
O weiser Klytos, begann Sokrates, sage mir, was schlimmer ist, Durst oder Heimweh?
Zweifellos Heimweh, versetzte Klytos.
Warum? fragte Sokrates. Meinst du nicht auch, daß das Heimweh ein des Menschen würdigeres Gefühl ist als der Durst, den der Philosoph gering achten sollte, da er ihm von der Natur aufgezwungen wird?
Das meine ich zweifellos auch, erwiderte Klytos.
Du erstaunst mich, entgegnete Sokrates. Wie kann dasselbe Gefühl zugleich würdiger und schlimmer sein? Denn ist es nicht so, daß das eine das andere ausschließt?
In der Tat ist es so, mein Sokrates.
Nun, o Klytos, wenn es sich so verhält, wäre es da nicht richtiger zu sagen, daß das Heimweh das würdigere, der Durst aber das schlimmere Gefühl ist?
Das wäre ohne Frage richtiger.
Da du dies eingesehen hast, o mein weiser Klytos, wäre es da zuviel verlangt, wenn du aufstehen würdest und danach schautest, ob sich irgendwo noch etwas zu trinken befindet? Wie ich sehe, ist die Rundschale leer, und wer, glaubst du, wird eher Gefahr laufen, Durst zu leiden: derjenige, der etwas zu trinken hat, oder derjenige, der nichts ...
Schon gut, mein Sokrates, versetzte Klytos, ich gehe ja schon.
Nach einer Weile kehrte er zurück und hörte den Schluß eines Gesprächs mit an, in dem Sokrates die beiden Dichter zuzugeben zwang, daß zwischen der Malerei und dem Kriegshandwerk ein Unterschied sei. Darauf füllte er Wein in eine große Schale, und sie begannen, rechts herum zu trinken.
O mein Aristophanes, begann Sokrates, ich sehe, daß du am Einschlafen bist. Kannst du mir vorher noch eine Frage beantworten?
Gern, mein Sokrates.
Du bist ein berühmter Mann, o Aristophanes, und die Menge liebt dich, weil du sie lachen machst, ich dagegen verstehe nichts vom Handwerk des Dichters. Wirst du mir verzeihen, wenn dir die Frage töricht scheint?
Nein, o mein Sokrates, erwiderte Aristophanes.
Wieso nein, o Aristophanes? Meintest du nicht ja, und die Müdigkeit drehte dir das Wort im Munde herum, wie das Volk sagt?
Zweifellos, versetzte Aristophanes.
Dann darf ich also die Frage stellen, o mein Aristophanes?
Nie und nimmer, o Sokrates, entgegnete dieser.
Wie soll ich diesen Widerspruch lösen? Einmal sagst du, ich dürfe sie stellen und dann wieder, ich dürfe sie nicht stellen.
Wer könnte das bestreiten, erwiderte Aristophanes.
Ab dieser Stelle wachte Agathon auf, der ein wenig eingenickt war und sagte: Das ist zweifellos richtig.
Mein Agathon, versetzte hierauf Sokrates, bist du dem Gespräch bis jetzt gefolgt, oder hast du nicht vielmehr geschlafen?
Ich habe geschlafen, entgegnete Agathon.
Findest du es, o Weiser, richtig, in einem Gespräch eine Meinung zu äußern, an dem man nicht teilgenommen hat, weil man währenddessen schlief?
Das ist ohne Frage richtig, antwortete Agathon.
Folgt daraus nicht, daß du besser daran tatest, weiter zu schlafen als deine Meinung kund zu tun?
Freilich täte ich daran besser, o Sokrates.
Nun, mein Agathon, so tue es auch.
Agathon folgte den Worten des Sokrates und legte sich wieder hin, nachdem er einen Schluck aus der Schale genommen hatte.
Nun zu dir, mein Aristophanes, sagte Sokrates und gab ihm einen Stoß. Bist du nicht auch der Meinung, daß ein Komödienschreiber zugleich ein Tragödienschreiber sein muß, und daß, wenn einer die eine Kunst beherrscht, er notwendig auch in der anderen Meister ist? Darauf öffnete Aristophanes seine Augen und sagte: Wie könnte es anders sein.
Während der letzten Worte waren auch Agathon und Klytos aufgewacht, sie nickten jedoch gleich wieder ein.
Sokrates vertrieb sich noch ein wenig die Zeit damit, dem Rundgefäß einzureden, daß es schon einmal voller gewesen sei, doch als es keine Antwort gab, stand er auf und ging.
aus: R. Gernhardt, F.W. Bernstein, F.K. Waechter - Die Wahrheit über Arnold Hau
Als nun die meisten eingeschlafen oder gegangen waren, setzten sich Sokrates, Agathon, Aristophanes und Klytos, der Sohn des Alabander, zusammen.
O weiser Klytos, begann Sokrates, sage mir, was schlimmer ist, Durst oder Heimweh?
Zweifellos Heimweh, versetzte Klytos.
Warum? fragte Sokrates. Meinst du nicht auch, daß das Heimweh ein des Menschen würdigeres Gefühl ist als der Durst, den der Philosoph gering achten sollte, da er ihm von der Natur aufgezwungen wird?
Das meine ich zweifellos auch, erwiderte Klytos.
Du erstaunst mich, entgegnete Sokrates. Wie kann dasselbe Gefühl zugleich würdiger und schlimmer sein? Denn ist es nicht so, daß das eine das andere ausschließt?
In der Tat ist es so, mein Sokrates.
Nun, o Klytos, wenn es sich so verhält, wäre es da nicht richtiger zu sagen, daß das Heimweh das würdigere, der Durst aber das schlimmere Gefühl ist?
Das wäre ohne Frage richtiger.
Da du dies eingesehen hast, o mein weiser Klytos, wäre es da zuviel verlangt, wenn du aufstehen würdest und danach schautest, ob sich irgendwo noch etwas zu trinken befindet? Wie ich sehe, ist die Rundschale leer, und wer, glaubst du, wird eher Gefahr laufen, Durst zu leiden: derjenige, der etwas zu trinken hat, oder derjenige, der nichts ...
Schon gut, mein Sokrates, versetzte Klytos, ich gehe ja schon.
Nach einer Weile kehrte er zurück und hörte den Schluß eines Gesprächs mit an, in dem Sokrates die beiden Dichter zuzugeben zwang, daß zwischen der Malerei und dem Kriegshandwerk ein Unterschied sei. Darauf füllte er Wein in eine große Schale, und sie begannen, rechts herum zu trinken.
O mein Aristophanes, begann Sokrates, ich sehe, daß du am Einschlafen bist. Kannst du mir vorher noch eine Frage beantworten?
Gern, mein Sokrates.
Du bist ein berühmter Mann, o Aristophanes, und die Menge liebt dich, weil du sie lachen machst, ich dagegen verstehe nichts vom Handwerk des Dichters. Wirst du mir verzeihen, wenn dir die Frage töricht scheint?
Nein, o mein Sokrates, erwiderte Aristophanes.
Wieso nein, o Aristophanes? Meintest du nicht ja, und die Müdigkeit drehte dir das Wort im Munde herum, wie das Volk sagt?
Zweifellos, versetzte Aristophanes.
Dann darf ich also die Frage stellen, o mein Aristophanes?
Nie und nimmer, o Sokrates, entgegnete dieser.
Wie soll ich diesen Widerspruch lösen? Einmal sagst du, ich dürfe sie stellen und dann wieder, ich dürfe sie nicht stellen.
Wer könnte das bestreiten, erwiderte Aristophanes.
Ab dieser Stelle wachte Agathon auf, der ein wenig eingenickt war und sagte: Das ist zweifellos richtig.
Mein Agathon, versetzte hierauf Sokrates, bist du dem Gespräch bis jetzt gefolgt, oder hast du nicht vielmehr geschlafen?
Ich habe geschlafen, entgegnete Agathon.
Findest du es, o Weiser, richtig, in einem Gespräch eine Meinung zu äußern, an dem man nicht teilgenommen hat, weil man währenddessen schlief?
Das ist ohne Frage richtig, antwortete Agathon.
Folgt daraus nicht, daß du besser daran tatest, weiter zu schlafen als deine Meinung kund zu tun?
Freilich täte ich daran besser, o Sokrates.
Nun, mein Agathon, so tue es auch.
Agathon folgte den Worten des Sokrates und legte sich wieder hin, nachdem er einen Schluck aus der Schale genommen hatte.
Nun zu dir, mein Aristophanes, sagte Sokrates und gab ihm einen Stoß. Bist du nicht auch der Meinung, daß ein Komödienschreiber zugleich ein Tragödienschreiber sein muß, und daß, wenn einer die eine Kunst beherrscht, er notwendig auch in der anderen Meister ist? Darauf öffnete Aristophanes seine Augen und sagte: Wie könnte es anders sein.
Während der letzten Worte waren auch Agathon und Klytos aufgewacht, sie nickten jedoch gleich wieder ein.
Sokrates vertrieb sich noch ein wenig die Zeit damit, dem Rundgefäß einzureden, daß es schon einmal voller gewesen sei, doch als es keine Antwort gab, stand er auf und ging.
aus: R. Gernhardt, F.W. Bernstein, F.K. Waechter - Die Wahrheit über Arnold Hau