Manche Menschen habe auch das Geld und die Muse einen antiken Edelrenner mit teuren Hochglanz Originalteilen zu restaurieren.
Das Rad habe ich geschenkt bekommen und es ist für eine Freundin die es braucht um damit zur Uni zu radeln und sich ganz sicher nichts aus Accessoires macht, die man nur noch zu Höchstpreisen in einschlägigen Expertenforen bekommen kann. Ich persönlich glaube, dass sie die Schutzbleche und all den übrigen "unnötigen" Firlefanz dagegen sehr wohl als nützlich einschätzt. Ob es sich bei einem Motobecane Prestige um eine "Rennmaschiene bis 1990" handelt lässt sich streiten, das gebe ich zu, trotzdem ist und bleibt dieses Form, wie erwiesen, auch in diesem Fall die verlässlichste Quelle für Informationen.
Was auch immer der Berliner "Retro-Wahn" ist, ich kann mich mit diesem Ausdruck jedenfalls nicht identifizieren. Würde mich interessieren.
Drückst Du da etwa gerade auf die Tränendrüse? Verstehe mich nicht miß, ein gebrauchtes Rad ist sicher die beste Methode, zu einem hinreichend vernünftigen Rad zu kommen, was relativ wenig Geld kostet. Auch sieht es einschließlich mir, kaum einer in diesem Forum sehr eng, ob man nun Fragen zu einem "echten" Rennrad oder "nur" einem Sportrad oder was auch immer hat. Und nicht alles hier sind "Edelrenner".
Aber nicht alles, was "alt" ist und auf dem ein bekannter Name steht, ist einerseits erhaltenswert, andererseits auch als normales Fahrrad für den Alltag wirklich geeignet. Entweder weil das 'Rad so schlecht ist, dass man es niemand zumuten möchte oder einfach, weil ein Oldtimer im Unterhalt gerne mal aufwendiger wird, als es einem lieb ist.
Was meine ich mit "Retro-Wahn", Du darfst es auch "Vintage-Mode" oder wie auch immer nennen: "Alte Räder" sind seit ein paar Jahren so "in", dass der Markt scheinbar langsam abgegrast ist und / oder nunmehr alles was irgendwie nach altem Fahrrad aussieht aus dem Keller gezerrt wird und - oft gegen vergleichsweise viel Geld - unter das Volk gebracht wird. Und inzwischen auch der ganze Schrott, der so in den 70er und 80er Jahren so noch im normalen Fahrradhandel, bei Quelle, Neckermann und Kackstadt, bei Tschibo und Co so verhökert wurde. Die "Oberklasse" dort war dann gerne die "Unterklasse" von Peugeot und Motobecane. Und das war schon dem "normalen", Publikum zu teuer, was sich lieber für ein Auto verschuldet hat. Billiges Zeug also, aus Wasserrohr mit Stahlkurbeln mit Blechverkleidung, Pressausfallenden, Stanzblechteilen, langschenkeligen, weichen und wackeligen
Bremsen, dafür mit "tollen" Speichenschlössern ( die waren an dem Mist allgegenwertig ) und übelst zusammengeschustert. Im Osten war es bald schlimmer: Man bekam ( wenn man was bekam) zwar die selben Modelle, die seit den 60ern unverändert gebaut wurden, aber mit ständig abnehmender Materialqualität.
Zweirädrige Zumutungen, an die man sich vielleicht noch verklärt erinnern kann, weil Mama und Papa zu Weihnachten einem das ersehnte "Rennsportrad" mit zehn Gängen schenkte oder ähnlich. Aber als echtes Fahhrad??
Und mindestens in den letzten zwei Jahren stellten mir immer wieder Kunden freudig erregt ihre tolle Errungenschaft vor, und ich dachte nur "Erbarmen, das darf doch nicht wahr sein": Einer eine orangene Schrottmühle, auf der "Eddy Merckx" stand, aber schon auf zwei Meter Entfernung zu sehen war, dass das nicht mal mehr den Altmetallpreis wert war - "Ich habe nur 280 Euro bezahlt", Ein anderer ein "Hollandrad", was augenscheinlich 10 Jahre im Keller gestanden hat, zuvor aber zu Schanden geritten wurde -gekauft für 180 Euro. Ich habe den förmlich angebettelt das Ding zu entsorgen, habe mich aber überreden lassen und eine ziemlich dicke Rechnung ausgestellt ( Und nein, eigentlich viel zu niedrig). Dessen Benutzung war bereits gefährlich ( und ich bin alles andere als ein Sicherheitsfanatiker), wieder ein "Rennsportrad", was man fahren konnte, aber auf keinen Fall abbremsen - nur 300 Euro, mehr als es je neu gekostet hat. Von den Klappis, die zwischenzeitlich auch chic waren nicht zu reden. Noch schöner: Die eigentlich erbarmungswürdigen "Damen-Sport-Räder" mit ihren schlimmen Fahreigenschaften, die zu einer miesen Grundsubstanz noch obendrauf kommen. Zu Preisen, für die sonst ein Einsteiger-Renner aus den 80ern mit einfachem, aber gutem Rahmen und einer Ausstattung der unteren Mittelklasse ( was zwar kein Prestige hat, aber immerhin qualitativ vernünftig ist und vor allem fahrbar ist) gehandelt wird.
Wird jetzt deutlich, was ich mit "Wahn" meine?
Dein Motobecane Prestige mag zwar noch nicht zu dem ganz üblen Schrott gehört haben, aber so zu den besseren auch noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob Du ihr wirklich einen Gefallen mit dem Rad tust. Auch das eine Erfahrung: Da kommen Kunden, wissen kaum, was sie da haben, ist aber "schön alt" und brauchen Verschleißteile, die man eigentlich nur noch in Foren wie diesen oder auf Sammlerbörsen bekommt. Einfache Reparaturen werden da schnell umständlich und, wenn ich das immer genau abrechnen würde, auch teuer.
Es gibt wirklich schöne alte Räder ( unabhängig vom Typ), die es lohnen, aber eben auch jede Menge Schrott.
EDIT: Schaut euch genauer an, was man Euch schenkt oder ihr verschenken wollt: noch 'ne Anekdote: Eine Kundin hat in ihrem Semester in Holland ein altes Rad geschenkt bekommen, was sie nun hier im Alltag bewegen wollte. Ein wirklich schönes Gazelle Sport ( was man eben Holland Rad nennt), nicht die "Edelausführung", nur Standard, Baujahr irgendwann zwischen 1958 und 1964, leider nicht mehr mit kompletten Bremsgestänge, aber solide und wertig. Mit Trommelbremsen und Nabenschaltung die mit Gazelle gelabelt waren und speziell für Gazelle von Sturmey Archer gemacht wurden. Der Drehschaltgriff (!) ebenso Sonderausführung hat mich längere Zeit beschäftigt, da der gerissenen Zug gewechselt werden mußte. Alles in Sondermaßen, sonst bekäme man von Sturmey Archer noch jedes Ersatzteil für zeitgenössische Komponenten, aber eben nicht hierfür.
Bei Gazelle habe ich dann nach möglichen Anleitungen gefragt. Die hat es im Archiv in Papierform noch gegeben. Leider ist denen aber eine Halle abgebrannt und mit ihr eben das Archiv.
Nachdem ich ihr klar gemacht habe, dass es zwar lohnen würde, aber alle Ersatzteile mühsam zusammen gesucht werden müssen, was Zeit und Geld kostet und das Rad alles Mögliche ist, aber kein preiswertes Alltags-Fietsen, hat sie es jetzt zu Hause als Wandschmuck........