Hallo,
Ein Thread ganz nach meinem Geschmack, daher hier auch meine Story (etwas lang):
Teil 1 - mit dem Sattel verwachsen: Ja, das war ich als Kind. Baujahr 1976, im wilden Osten Europas geboren und aufgewachsen. Großeltern auf dem Land (wo mein Bruder und ich immer die laaangen (3 Monate) Sommerferien verbrachten). Und Räder hatten wir immer. Hauptsächlich Klappräder aus einheimischer Fertigung oder Jugend-Trekkingräder aus russischer. Rücktrittbremse galt als schick, Freilauf mit "normalen"
Bremsen als verpönt. Renner gab es höchstens auch aus russischer Fertigung, aber schwer zu bekommen und nicht gerade günstig. Auf alle Fälle, in den Ferien (und nicht nur) fast überall und fast ununterbrochen mit dem Rad unterwegs gewesen, unter fachkundiger Anleitung vom Vater und Großvater gelernt, wie man an den Rädern schraubt, wie man einen
Schlauch (auch hinten) bei eingebautem Rad flickt und so einiges mehr. Zum Glück vielmehr gefahren als geschraubt, in dem Genuß der "Todessenke" (eine Mutprobe für alle Kids in dem Viertel, die ein Rad hatten) gekommen und die beim allerersten mal gemeistert, danach etliche male mehr und nie gestürzt.
Zum 10. Geburtstag vom Großvater ein schönes leichtes Import-Klapprad geschenkt bekommen (die Nachbarkids waren neidisch, YEAH!!!). Damit auf einer irrsinnigen Abfahrt eine gesprungene Kette erlebt (Vorderradbremse war sowieso wirkungslos) und daher die Fahrt mit einem Aufprall Vorderrad gegen Blumenkübel beendet. Flog überm Lenker und landete (un)sanft auf ner Wiese, könnte mich gerade noch zur Seite rollen, als Rad hinterhergeflogen kam. Vorderrad war für die Tonne, neues eingebaut, Bremse abmontiert und die verbogene Gabel einfach um 180 Grad gedreht, passte.Gleichzeitig Gepäckträger abmontiert (sah ja sooo uncool aus). Wenig später einen Rahmenbruch erlebt und in 35 Grad Hitze das Rad in 2 Teilen 4 Kilometer bis nach Hause getragen, dann 19 Stockwerke hoch (Beide Fahrstühle schon wieder kaputt). Rahmenbruch mit viel Hilfe und unter fachkundiger Anleitung vom Großvater geschweißt, wieder aufs Rad!
Noch einige Jahre hielt das Rad, verlor nach und nach beide Schutzbleche, sammelte Sturzspuren und lief, bis der zweite Rahmenbruch kam. Diesmal irreparabel. Naja, ich war schon 15 und Mädels, E-Gitarre und Oldtimer zu der Zeit sowieso interessanter. Als letzte radlerische Leistung organisierte ich eine Tour mit zwei Freunden zum Dorf, wo meine Großeltern wohnten (aber das ist eine andere Geschichte). Danach war Stille, ans Rad dachte ich selten, finanziell war es nicht drin und so weiter...
Teil 2 - nicht nur bei der Tour quält man sich im Juli: Fast 6 Jahre später...mittlerweile an der Uni in meinem allerersten Sommersemester. Juli=Examenszeit. Während andere ans Meer fahren, quält man sich zuhause mit den Lehrbüchern, Lernmarathons von 14-16-18 Stunden täglich. Welcher Teufel mich geritten hat, im Hintergrund Eurosport laufen zu lassen, weiß ich bis heute nicht. Auf alle Fälle erlebte ich, über die Lehrbücher hockend, wie Indurains Träume vom 5ten Sieg zerplatzten und fand irgendwie Geschmack an den Sport...auch wenn nur als Zuschauer. War allemal interessanter als Physiologie- oder Mikrobiologie-Lehrbücher. Fan der Tour (und nicht nur) bin ich bis heute...aber die folgenden Jahre sollte sich nichts an der radlosen Situation ändern. Im Jahr darauf fiel die Examenszeit (bedingt durch den Umzug nach Deutschland) aus, dennoch verfolgte ich Jan Ullrichs Siegeszug...in den Jahren darauf hieß es wieder im Sommer lernen, lernen, lernen...Examina, Praktika, Doktorarbeit, etc...und Zeit, im Sommer mit dem Lehrbuch vorm Fernseher zu hocken...immer noch selbst radlos. War einfach nicht drin, sowohl finanziell als auch zeitlich.
Teil 3 - zurück aufs Rad...aber welches? Ein Stellenwechsel ist schuld. Nach 14 Jahren (Studium+Beruf) dauerpendeln wechsle ich endlich mal zu einer Arbeitstelle, die so nah liegt, daß es kaum zu glauben ist. Man könnte ja fast mit dem Rad hinfahren. Wäre auch gut, nach all den Jahren wieder mal was für die Form zu tun. Einige dumme Gedanken dieser Art treiben mich zu einem großen Fahrradladen in der Nähe und nach etwas stöbern auf der Website habe ich in etwa eine Vorstellung, was ich möchte...ein flott zu fahrendes Rad für Wochenendtouren und täglich 2x7km Arbeitsweg...wenig später ist es geschehen, ein guter und durchaus schneller Trekker ist es geworden. Zwei Tage später überführe ich es nach Hause. Seit fast 20 Jahren das erste mal wieder auf dem Rad. Und das erste mal ein Rad mit Schaltung fahren (nein, ich mache absolut keine Witze! Eigentlich bin ich froh, daß ich nach so vielen Jahren das Radfahren nicht verlernt habe
)...hmm, macht Spaß, so richtig in die Pedale zu treten...als ich endlich zuhause bin, rolle ich fast mit dem Vorderrad über die eigene Zunge...auaa!!! Spaß macht es aber allemal!
In der Folgezeit fahre ich fast jeden Tag nach Feierabend meinen zukünftigen Arbeitsweg mit dem Trekker. Macht Spaß. Endlich mal wieder auf dem Rad...aber warum immer so schnell? Warum ziehe ich immer, wo es Spaß macht, so rabiat an? Warum denn nicht gemütlich auf dem Gefälle ausrollen, anstatt aus dem
Sattel zu gehen und die Gänge auszudrehen. Warum denn nicht nach einem Gefälle ausrollen lassen, anstatt zu versuchen, die dicken Gänge solange wie es nur geht zu treten? Macht einfach Spaß, auch wenn's schmerzt. Nach so vielen Jahren mal wieder, und viel schneller als damals.
Naja, schnell ist relativ - so schnell, wie es meine Form (oder das fehlen einer solchen) erlaubt. Wenn es ginge, würde ich noch schneller fahren...da arbeite ich halt dran...ehe ich mich versehe, wird meine beste Freundin zu meiner besten Tourenpartnerin. Ehe ich mich versehe, hat sie ihre Gazelle gegen einen Trekker getauscht. Regelmäßig 50+ km am WE? Gerne!!!
Es wurmt mich aber was. Auf unseren Touren legen wir immer ein gemütliches (und trotzdem gutes) Tempo vor, so daß wir nur von Rennradlern überholt werden. Um die Form und die Kilometer, die die Jungs zurücklegen, respektiere ich sie, versuche, denen immer aus dem Weg zu gehen...verdient haben sie es allemal. Tja...ein gutes Tempo und anspruchsvolles fahren genießen ist irgendwie meine Leidenschaft. Sonst würde ich nicht in der Garage einen schönen Roadster mit traumhafter Straßenlage stehen haben und würde den nicht am liebsten über kurvige Bergstraßen prügeln...bin halt gerne schnell unterwegs und möchte die Fahrt auch genießen...ob ein Rad sowas kann? Gibt es ein Rad, was anspruchsvoll zu fahren ist, mit dem schnell sein kann, was eine schöne Straßenlage hat und wo man die Gefühle einer Roadsterfahrt damit erleben kann? Ein Rennrad? Oder doch nicht? Will ich mich wirklich für quälen? Blöde Frage, für so einiges habe ich mich auf die eine oder andere Weise abgequält, wieso nicht dafür? Irgendwie finde ich Gefallen an dem Gedanken...
Teil 4 - Es ist soweit. So manches braucht einen Anstoß, um ins Rollen zu kommen. Dem Gedanken an den Renner schließt sich erst einmal lesen an. Nach dem lesen dann probefahren. Überlegen. Ziel definieren. Am Ende stehen so 2-3 Räder in die engere Auswahl, bin aber immer noch unentschieden. Bis meine Tourenpartnerin erklärt, ein Rennrad würde sie auch reizen. Dann geht sie mit mir in einem der Läden, wo ich schonmal war und schaut sich selbst um. Fährt einen Rad probe. Ich auch. Zum zweiten mal. Aus allen drei Rädern, die ich probegefahren bin, hatte dies als einziges den "das ist es" -Gefühl, den ich bei der Probefahrt mit meinem Roadster einige Zeit vorher verspürt habe. Laut Verkäufer ließe sich am Preis "was machen". Tja, ehe ich mich versehe, stehe ich gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand. Was würde meine Tourenpartnerin sagen, nachdem ich ihr von Probefahrten und so vielem mehr berichtet und sie wochenlang vollgequasselt habe? Da würde sie womöglich lachen und eher auf einem Renner sitzen als ich. Hmm, soviel für ein Spaßkauf...aber schließlich war es mit dem Roadster nicht anders...doch? Doch nicht? Oder doch doch?
Eigentlich ist es um mich geschehen, ich habe nur Probleme, es zuzugeben. Ist wie ein Sprung ins kalte Wasser - am besten wagt man es schnell und kurz entschlossen. "Gekauft!". Der Verkäufer lächelt mir zu, Rad wird sofort in die Werkstatt zur Übergabeinspektion geschoben. In der Zwischenzeit investiere ich den Abschlag vom Preis in Hose, Trikot und
Helm. Meine Tourenpartnerin funkelt mich an, als ich in der Montour aus der Umkleide komme. Verkäufer lächelt und sagt nur "sexy!". Ich komme mir darin wie eine Presswurst vor. Was soll's, um meine Figur und Form weiß ich nur zu gut bescheid...das Grinsen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Schnell wird Rad und alles andere ins Auto geladen. Ab nach Hause und gleich auf die erste Runde. Nur 13 kilometer. Wohne neben einer Rheinbrücke also wird die gleich mitgenommen, dann am Rhein entlang bis zur nächsten, wieder über die Brücke und auf der anderen Flußseite nach hause. Puh, geht das Ding ab! (und mir nach und nach ziemlich schnell die Puste aus). Zunge wird vorsichtig überm Lenker gewickelt und fleißig weiter in die Pedale getreten. Was soll's, sind nur schmerzen, kenne ich (nicht nur) vom Trekker. Treten, treten, treten!!! Kann nichts für, mit dem Rad kann man nicht anders als Tempo machen. Macht auch vielmehr Spaß als jedes andere Rad zuvor. Nach 14 km komme ich ganz aus der Puste und mit einem debilen Grinsen wieder zuhause an. Gerne wieder!
Am nächsten Tag wieder in den Laden und ein Paar "Kleinigkeiten" besorgen. Klickpedale, Schuhe, Trinkflaschenhalter. Und wieder aufs Rad. YESSS!!! Von der Ausfahrt auf meiner kurzen Hausrunde komme ich mit dem gleichen debilen Grinsen zurück. Und habe Lust auf mehr...
So, soviel von mir....hoffe, es war nicht zu langweilig zu lesen.
P.S. Meine Trekker-Tourenpartnerin schaut sich weiterhin ernsthaft nach einem Rennrad um...Wenn ich nicht auf sie aufpasse, wird es sogar ein Bianchi.
P.P.S. Sie scheint noch unentschlossener als ich zu sein. Habe ihr ein Angebot gemacht - wenn sie sich einen Renner kauft, gehen Trikot, Hose und Handschuhe auf mich. Als sie mir geantwortet hat, ließ ihr Ton einiges erahnen