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Klassiker des Monats KdM November 2024

HWE Super de Luxe​

Damals, als Kind in Ludwigshafen, stand ich oft am Fenster unserer Wohnung und beobachtete wie die Leute zur Arbeit in die BASF fuhren. Die meisten auf schwarzen Fahrrädern, einige hatten am Oberrohr ein rotes Nummernschild, das waren die Werksfahrräder der BASF. Dazwischen noch etliche Motorräder, nur wenige Autos: ein VW-Käfer, eine Isetta, oder sogar mal ein Opel Olympia. Da – zwischen all den schwarzen Fahrrädern, ein Paradiesvogel, creme-weiß mit roten Verzierungen und roten Schutzblechen.
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Quelle: Zweirad-Industrie-Verband

Heute, 70 Jahre später steht so ein Paradiesvogel vor mir. Creme-weiß mit roten Muffen und roten Schutzblechen. Wie kam es in der grauen Nachkriegszeit zu einem solchen Fahrrad?
Meine Vorstellung spielt Kino:

Einbeck in den 50er Jahren. Die Firma HWE (Heidemann Werke Einbeck) ist erfolgreich am deutschen Markt, hat bereits über zwei Millionen Fahrräder produziert. Der Vorstand tagt.
Verkaufsleiter: Die Verkaufszahlen stagnieren. Wir brauchen neue Ideen!
Werbeleiter: Ich glaube, die Leute sind es leid, das Fahrrad nur zur Fahrt zur Arbeit zu nutzen. Wir brauchen neue Anwendungen für das Fahrrad. Das Fahrrad als Freizeitvergnügen! Am Wochenende ins Grüne, in die Berge, an den See!
Gerhard Heidemann: Wir sind doch Sponsor des Heidemann Teams und veranstalten das Radrennen „Rund um die Heidemann-Werke“. Können wir damit nicht zeigen, dass Fahrräder auch Freizeitvergnügen sind?
Werbeleiter: Stimmt, aber wir müssen ein solches Rennrad auch zum Kauf anbieten.
Produktionsleiter: Ausgeschlossen! Wir können auf unseren Produktionslinien keine Rennräder bauen. Diese Stähle von Reynolds oder anderen, wie sie die Italiener und Franzosen verwenden, sind viel zu dünn. Das können wir mit unseren Anlagen nicht produzieren.
Werbeleiter: Dann lass uns eine Serie Räder anders lackieren. In Weiß und Rot zum Beispiel. Und Teile dranbauen, wie sie für ein Rennrad typisch sind: Rennlenker, Schaltung und so weiter.
Produktionsleiter: Gut, dann kaufen wir die Dreigang-Nabenschaltung aus Schweinfurt ein.
Einkaufsleiter: Nein, viel besser. Ich könnte eine französische Simplex-Schaltung besorgen. Durex in Bielefeld produziert diese in Lizenz.
Heidemann: Und wir nennen das neue Produkt „Luxus-Fahrrad“.
Werbeleiter: Viel besser: wir taufen diese neue Linie „Super de Luxe“, das klingt französisch. Und auf den Rahmen kommt ein Aufkleber „Italian Style“.

Wird so mein Fahrrad entstanden sein? Ein mit überschaubarem Aufwand fabriziertes Sportrad, abgeleitet aus einem millionenfach produzierten Alltagsrad? Beworben für die Fahrt ins Grüne?
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Keine Angaben zur Stahlsorte; das Gewicht von 15,4 Kilogramm lässt auf Wasserrohr-Qualität schließen. Aber vieles ist ordentlich verchromt, der Rahmen creme-weiß und die Muffen rot lackiert, die Muffenränder amateurhaft schwarz nachgezogen.
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Die Viergang-Bergschaltung kommt von Simplex, genauer gesagt aus der Lizenzproduktion bei Durex (Präzision Werke Bielefeld), wie das kleine „D“ unter dem Markennamen und die Beschriftung „vierfach“ verraten.
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Der Umwerfer mit Hebel am Sattelrohr ist ebenfalls von Simplex.
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Der Sattel stammt von Nervax.
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Beleuchtung ist auch vorhanden…
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… und ein Speichenschloss auch.
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Die Bremsen sind von Weinmann, Typ 810. Ein Werkzeugtäschchen war auch dabei.
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Zuletzt bearbeitet:
Zweiter Teil des HWE Super de Luxe:

In dem Werkzeugtäschchen fand sich die Anleitung zur Montage und Einstellung der Schaltung.
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Ich habe (noch) nicht viel an dem HWE Super de Luxe gemacht. Neue Reifen und Schläuche, neue Kette, neues Lenkerband, neue Bremszüge, alles gereinigt und eingestellt, aber noch nicht auf Hochglanz poliert.
Aber auch so bietet das HWE Super de Luxe bereits seinen ganzen 50er-Jahre Charme auf und stellt sich den gestrengen Blicken der Jury.
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So einen Pumpenknöbbel an der Sattelmuffe hab ich zuvor nie gesehen. Inovatives Detail, welches zuverlässig Lackschäden durch die sonst üblichen Schellen mit Schirm oder Spitze verhindert. Zudem ist der Pinökel so präzise angelötet, dass die Pumpe weder an der Umwerferschelle noch dem senkrechten Teil der Sattelmuffe nagt und scheuert. :cool:
 

HWE Super de Luxe​

Damals, als Kind in Ludwigshafen, stand ich oft am Fenster unserer Wohnung und beobachtete wie die Leute zur Arbeit in die BASF fuhren. Die meisten auf schwarzen Fahrrädern, einige hatten am Oberrohr ein rotes Nummernschild, das waren die Werksfahrräder der BASF. Dazwischen noch etliche Motorräder, nur wenige Autos: ein VW-Käfer, eine Isetta, oder sogar mal ein Opel Olympia. Da – zwischen all den schwarzen Fahrrädern, ein Paradiesvogel, creme-weiß mit roten Verzierungen und roten Schutzblechen.
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Quelle: Zweirad-Industrie-Verband

Heute, 70 Jahre später steht so ein Paradiesvogel vor mir. Creme-weiß mit roten Muffen und roten Schutzblechen. Wie kam es in der grauen Nachkriegszeit zu einem solchen Fahrrad?
Meine Vorstellung spielt Kino:

Einbeck in den 50er Jahren. Die Firma HWE (Heidemann Werke Einbeck) ist erfolgreich am deutschen Markt, hat bereits über zwei Millionen Fahrräder produziert. Der Vorstand tagt.
Verkaufsleiter: Die Verkaufszahlen stagnieren. Wir brauchen neue Ideen!
Werbeleiter: Ich glaube, die Leute sind es leid, das Fahrrad nur zur Fahrt zur Arbeit zu nutzen. Wir brauchen neue Anwendungen für das Fahrrad. Das Fahrrad als Freizeitvergnügen! Am Wochenende ins Grüne, in die Berge, an den See!
Gerhard Heidemann: Wir sind doch Sponsor des Heidemann Teams und veranstalten das Radrennen „Rund um die Heidemann-Werke“. Können wir damit nicht zeigen, dass Fahrräder auch Freizeitvergnügen sind?
Werbeleiter: Stimmt, aber wir müssen ein solches Rennrad auch zum Kauf anbieten.
Produktionsleiter: Ausgeschlossen! Wir können auf unseren Produktionslinien keine Rennräder bauen. Diese Stähle von Reynolds oder anderen, wie sie die Italiener und Franzosen verwenden, sind viel zu dünn. Das können wir mit unseren Anlagen nicht produzieren.
Werbeleiter: Dann lass uns eine Serie Räder anders lackieren. In Weiß und Rot zum Beispiel. Und Teile dranbauen, wie sie für ein Rennrad typisch sind: Rennlenker, Schaltung und so weiter.
Produktionsleiter: Gut, dann kaufen wir die Dreigang-Nabenschaltung aus Schweinfurt ein.
Einkaufsleiter: Nein, viel besser. Ich könnte eine französische Simplex-Schaltung besorgen. Durex in Bielefeld produziert diese in Lizenz.
Heidemann: Und wir nennen das neue Produkt „Luxus-Fahrrad“.
Werbeleiter: Viel besser: wir taufen diese neue Linie „Super de Luxe“, das klingt französisch. Und auf den Rahmen kommt ein Aufkleber „Italian Style“.

Wird so mein Fahrrad entstanden sein? Ein mit überschaubarem Aufwand fabriziertes Sportrad, abgeleitet aus einem millionenfach produzierten Alltagsrad? Beworben für die Fahrt ins Grüne?
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Keine Angaben zur Stahlsorte; das Gewicht von 15,4 Kilogramm lässt auf Wasserrohr-Qualität schließen. Aber vieles ist ordentlich verchromt, der Rahmen creme-weiß und die Muffen rot lackiert, die Muffenränder amateurhaft schwarz nachgezogen.
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Die Viergang-Bergschaltung kommt von Simplex, genauer gesagt aus der Lizenzproduktion bei Durex (Präzision Werke Bielefeld), wie das kleine „D“ unter dem Markennamen und die Beschriftung „vierfach“ verraten.
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Der Umwerfer mit Hebel am Sattelrohr ist ebenfalls von Simplex.
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Der Sattel stammt von Nervax.
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Beleuchtung ist auch vorhanden…
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… und ein Speichenschloss auch.
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Die Bremsen sind von Weinmann, Typ 810. Ein Werkzeugtäschchen war auch dabei.
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Ich sehe den Arbeiter in den 50er Jahren direkt vor mir. Wie er seine kleinen Ersparnisse in den Radladen trägt und auf das schicke cremefarbene Rad mit den roten Schutzblechen zeigt " das Super de Luxe hätte ich gerne " " Eine gute Wahl. Eines unserer besten Räder". Monate lang hatte er sich die Nase am Schaufenster platt gedrückt.
Wie er stolz mit seinem Neuerwerb nach Hause fährt. Das rauschen des Windes, das surren des Freilaufs, das Singen der Reifen.
Das bedienen der Schaltung muss er erstmal lernen. Noch nie in seinem Leben hatte er so ein schönes Rad mit vier Gängen. Ein Kilometer vor der Neubausiedlung muss er eine kleine Steigung hinauf. Er schaltet dieses Mal rechtzeitig auf das 21er Bergritzel und das Rad fährt den Anstieg fast wie von selbst. Zu Hause angekommen bewundern alle dieses elegante Rennrad. "Aus Italien?" "Nein, aber italienischer Stil."
Auch die Kollegen auf der Schicht bewundern sein Rad und fragen ob er jetzt Radrennen führe. Er fühlt sich geschmeichelt.
Am Wochenende fährt er 40 km ins Grüne. Auf die Idee wäre er mit seinem alten Rad nie gekommen. Dieses Rad hat sein Leben verändert.

50 Jahre später holt er ein vergilbtes Farbfoto aus seinem Fotoalbum.
"Mein Super de Luxe und ich am Hermannsdenkmal. Wir waren ein gutes Team"
Dann schlurft er in den Keller und nimmt ein weißes Laken von einem alten aber gepflegten Rad. Super de Luxe steht auf dem cremefarbenen Oberrohr. Seine Hand streichelt den Nervex Ledersattel. " Weisst du noch, damals, wir beide?" flüstert er.
 
--- Virginia Grenzi ---
1971​

Orazio Grenzi (VIRGINIA) war der führende Rahmenbauer hinter Paletti und baute viele spezielle Rahmen für ihn. Innovation war dabei auch immer ganz weit oben bei ihm. Neben den Rahmen für Paletti baute er unter dem Namen seiner Mutter "Virginia" eigene Räder und dies sehr erfolgreich bis in die 80er und 90er.

Dieser Rahmen ist einer der aufwändigsten aus meiner Sicht mit wunderschönen Muffenverzierungen und der klassischen Nuovo Record.

Hier nun ein paar herbstliche Bilder.

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Ein sensationelles Radl. Herzlichen Glückwunsch zum Fang. :daumen:

Im Zusammenhang mit Orazio Grenzi werden auch immer mal wieder eine enge Bindung zu Licino Marastoni und Giuseppe Pelá genannt. Grenzi fing wohl 1962 an, verkaufte dann in das Geschäft an Luciano Paletti und eröffnete in 1976 mit seiner Hausmarke Virginia eine neue Manufaktur. In 1987 übergab er dann an seinen Neffen Palmieri Marco.
 
Ich sehe den Arbeiter in den 50er Jahren direkt vor mir. Wie er seine kleinen Ersparnisse in den Radladen trägt und auf das schicke cremefarbene Rad mit den roten Schutzblechen zeigt " das Super de Luxe hätte ich gerne " " Eine gute Wahl. Eines unserer besten Räder". Monate lang hatte er sich die Nase am Schaufenster platt gedrückt.
Wie er stolz mit seinem Neuerwerb nach Hause fährt. Das rauschen des Windes, das surren des Freilaufs, das Singen der Reifen.
Das bedienen der Schaltung muss er erstmal lernen. Noch nie in seinem Leben hatte er so ein schönes Rad mit vier Gängen. Ein Kilometer vor der Neubausiedlung muss er eine kleine Steigung hinauf. Er schaltet dieses Mal rechtzeitig auf das 21er Bergritzel und das Rad fährt den Anstieg fast wie von selbst. Zu Hause angekommen bewundern alle dieses elegante Rennrad. "Aus Italien?" "Nein, aber italienischer Stil."
Auch die Kollegen auf der Schicht bewundern sein Rad und fragen ob er jetzt Radrennen führe. Er fühlt sich geschmeichelt.
Am Wochenende fährt er 40 km ins Grüne. Auf die Idee wäre er mit seinem alten Rad nie gekommen. Dieses Rad hat sein Leben verändert.

50 Jahre später holt er ein vergilbtes Farbfoto aus seinem Fotoalbum.
"Mein Super de Luxe und ich am Hermannsdenkmal. Wir waren ein gutes Team"
Dann schlurft er in den Keller und nimmt ein weißes Laken von einem alten aber gepflegten Rad. Super de Luxe steht auf dem cremefarbenen Oberrohr. Seine Hand streichelt den Nervex Ledersattel. " Weisst du noch, damals, wir beide?" flüstert er.
Hach, schön hast du das erzählt :daumen:. Erinnert mich an Gilbert und Héloïse ... 😊
 
So einen Pumpenknöbbel an der Sattelmuffe hab ich zuvor nie gesehen. Inovatives Detail, welches zuverlässig Lackschäden durch die sonst üblichen Schellen mit Schirm oder Spitze verhindert. Zudem ist der Pinökel so präzise angelötet, dass die Pumpe weder an der Umwerferschelle noch dem senkrechten Teil der Sattelmuffe nagt und scheuert. :cool:
Hamm se sich abgeguckt ... Wo? Bei Peugeot natürlich ... :D
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Dann schlurft er in den Keller und nimmt ein weißes Laken von einem alten aber gepflegten Rad. Super de Luxe steht auf dem cremefarbenen Oberrohr. Seine Hand streichelt den Nervex Ledersattel. " Weisst du noch, damals, wir beide?" flüstert er.
Da musste ich doch schmunzeln, wie schön du das erzählt hast.
Nein, bei mir müssen alle Räder, auch die ältesten (Das HWE Super de Luce ist ca. 70 Jahre alt), raus an die frische Luft und auf die Straße. Und ich selbst (77 Jahre) plage mich mit ihnen ab, wohl wissend, dass die jüngeren Räder viel leichter laufen.
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Hier am letzten Samstag bei herrlichem Wetter im Neckartal zwischen Horb und Rottenburg. (Wenig epochengetreu mit Trinkflaschen- und smartphone-Halter.)
 
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Hier kann man nicht erkennen ob die auch den Mercier Schriftzug haben, könnte man sich ja aber durchaus vorstellen wenn die so ab Katalog ausgestattet waren
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Quelle: https://fotos.rennrad-news.de/p/328663
Im Katalog ist am 600-Rad, dort mit Chromgabel, von einem "schwazen Ledersattel" die Rede, der auch abgebildet ist. Der sensationelle Concor mit der der mutmaßlichlichen Sonderbeschriftung ist nur an den höherwertigen Ausstattungen zu sehen. Das wirft wieder zahlreiche Fragen auf:
  • Wie kommt so ein Sattel an das hier vorgestellte 600-Rad, obwohl im Katalog nicht abgebildet?
  • Warum hat Mercier die Kunden höherwertiger Ausstattungen düpiert?
  • Gab es eine unverkäufliche Überproduktion roter Concoren bei Selle San Marco?
  • Galten die samtig-roten Sättel eher als unmännlich und sexuell zwielichtig außer in Frankreich?
  • Hat Mercier also nur unbeliebte rote Sättel günstig zum Sonderpreis bekommen (Abverkauf Rot)
  • War der seitliche Sonderstempel im Aktionspreis inkludiert?
  • Eher Punktabzug oder Mauritius-Zuschlag im KDM?

Ich musste mich übrigens damals einige Male für die Farbe meines roten Plüschsattels, ein Concor Superleggera am Gios, rechtfertigen. Es fielen auch minderheitenfeindliche Worte. Was mich amüsierte und in meiner Kaufentscheidung nur bestätigte. ✌️
 

HWE Super de Luxe​

Damals, als Kind in Ludwigshafen, stand ich oft am Fenster unserer Wohnung und beobachtete wie die Leute zur Arbeit in die BASF fuhren. Die meisten auf schwarzen Fahrrädern, einige hatten am Oberrohr ein rotes Nummernschild, das waren die Werksfahrräder der BASF. Dazwischen noch etliche Motorräder, nur wenige Autos: ein VW-Käfer, eine Isetta, oder sogar mal ein Opel Olympia. Da – zwischen all den schwarzen Fahrrädern, ein Paradiesvogel, creme-weiß mit roten Verzierungen und roten Schutzblechen.
Anhang anzeigen 1527395
Quelle: Zweirad-Industrie-Verband

Heute, 70 Jahre später steht so ein Paradiesvogel vor mir. Creme-weiß mit roten Muffen und roten Schutzblechen. Wie kam es in der grauen Nachkriegszeit zu einem solchen Fahrrad?
Meine Vorstellung spielt Kino:

Einbeck in den 50er Jahren. Die Firma HWE (Heidemann Werke Einbeck) ist erfolgreich am deutschen Markt, hat bereits über zwei Millionen Fahrräder produziert. Der Vorstand tagt.
Verkaufsleiter: Die Verkaufszahlen stagnieren. Wir brauchen neue Ideen!
Werbeleiter: Ich glaube, die Leute sind es leid, das Fahrrad nur zur Fahrt zur Arbeit zu nutzen. Wir brauchen neue Anwendungen für das Fahrrad. Das Fahrrad als Freizeitvergnügen! Am Wochenende ins Grüne, in die Berge, an den See!
Gerhard Heidemann: Wir sind doch Sponsor des Heidemann Teams und veranstalten das Radrennen „Rund um die Heidemann-Werke“. Können wir damit nicht zeigen, dass Fahrräder auch Freizeitvergnügen sind?
Werbeleiter: Stimmt, aber wir müssen ein solches Rennrad auch zum Kauf anbieten.
Produktionsleiter: Ausgeschlossen! Wir können auf unseren Produktionslinien keine Rennräder bauen. Diese Stähle von Reynolds oder anderen, wie sie die Italiener und Franzosen verwenden, sind viel zu dünn. Das können wir mit unseren Anlagen nicht produzieren.
Werbeleiter: Dann lass uns eine Serie Räder anders lackieren. In Weiß und Rot zum Beispiel. Und Teile dranbauen, wie sie für ein Rennrad typisch sind: Rennlenker, Schaltung und so weiter.
Produktionsleiter: Gut, dann kaufen wir die Dreigang-Nabenschaltung aus Schweinfurt ein.
Einkaufsleiter: Nein, viel besser. Ich könnte eine französische Simplex-Schaltung besorgen. Durex in Bielefeld produziert diese in Lizenz.
Heidemann: Und wir nennen das neue Produkt „Luxus-Fahrrad“.
Werbeleiter: Viel besser: wir taufen diese neue Linie „Super de Luxe“, das klingt französisch. Und auf den Rahmen kommt ein Aufkleber „Italian Style“.

Wird so mein Fahrrad entstanden sein? Ein mit überschaubarem Aufwand fabriziertes Sportrad, abgeleitet aus einem millionenfach produzierten Alltagsrad? Beworben für die Fahrt ins Grüne?
Anhang anzeigen 1527397
Keine Angaben zur Stahlsorte; das Gewicht von 15,4 Kilogramm lässt auf Wasserrohr-Qualität schließen. Aber vieles ist ordentlich verchromt, der Rahmen creme-weiß und die Muffen rot lackiert, die Muffenränder amateurhaft schwarz nachgezogen.
Anhang anzeigen 1527398
Anhang anzeigen 1527399
Die Viergang-Bergschaltung kommt von Simplex, genauer gesagt aus der Lizenzproduktion bei Durex (Präzision Werke Bielefeld), wie das kleine „D“ unter dem Markennamen und die Beschriftung „vierfach“ verraten.
Anhang anzeigen 1527400
Der Umwerfer mit Hebel am Sattelrohr ist ebenfalls von Simplex.
Anhang anzeigen 1527402
Der Sattel stammt von Nervax.
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Beleuchtung ist auch vorhanden…
Anhang anzeigen 1527404
… und ein Speichenschloss auch.
Anhang anzeigen 1527405
Die Bremsen sind von Weinmann, Typ 810. Ein Werkzeugtäschchen war auch dabei.
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Dein Beitrag in einem Rennrad-Forum hat mehr Seele als die Essenz von einem Dutzend online-Shops bekannter Rennradhersteller zusammen. Ich danke Dir.
 
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Für mich der Sieger der Herzen, ich hatte HWE in den 90er auch noch im Programm, bin die Tore in Einbeck für immer geschlossen wurden, von mir gibt es auf jeden Fall Punkte.
 
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