Ich weiß nicht, ob das Thema hier so recht passt. Ansonsten gerne verschieben.
Ich bin heute schon um 06:00 Uhr aufs Rad und mit dem Fahrrad einem reinen Radweg entlang des Rheins zwischen zwei Gemeinden entlanggefahren. Gegen 07:10 Uhr, mitten im Nirgendwo, liegt plötzlich ein relativ junger Mann um die 30 Jahre auf dem Radweg, seine Brille vor ihm auf dem Weg. Position leichte Embryonalstellung auf der Seite liegend. Also pflichtgemäß angehalten und angesprochen. Keine Reaktion. Also abgestiegen und Rad abgelegt und an dem Herrn gerüttelt. Keine Reaktion. Dann habe ich nach offensichtlichen Verletzungen geschaut, Puls und Atmung geprüft, alles normal. Dabei habe ich ihn wiederholte Male angesprochen. Keine Reaktion. Daher habe ich noch stärker an ihm gerüttelt bis er ganz leicht die Augen geöffnet hat. Auf meine Fragen, ob der Hilfe braucht und, ob es ihm gut geht hat er nicht gesprochen, sondern nur den Kopf geschüttelt, bzw. mit dem Kopf genickt. Da es um die 14°C hatte und er mit einem dicken Pulli bekleidet war, habe ich ausgeschlossen, dass er da erfrieren könnte, wenn er dort (betrunken?) weiterschläft.
Nachdem er mir also signalisiert hatte, dass er keine Hilfe braucht und ich keine Gefahr sah, bin ich weitergefahren. Auch mit dem Wissen, dass der Radweg gerade am WE gut frequentiert ist und er damit, sollte er doch Hilfe benötigen, Ansprechpartner finden würde.
Nachdem ich aber weitergefahren war, habe ich mich gefragt, ob mein Verhalten richtig, respektive ausreichend war. Damit meine ich nicht juristisch im Sinne der unterlassenen Hilfeleistung (da bin ich der Auffassung das Nötige getan zu haben), aber hätte ich nicht doch die Polizei oder den Rettungsdienst verständigen sollen? Wie seht ihr das: Hätte ich ganz auf Nummer sicher gehen sollen und den Notruf wählen sollen oder gilt das auf dem Land als normal, dass man auf dem Weg nach Hause sich hat irgendwo schlafen legt, wenn man zu tief ins Glas geschaut hat. Solche Geschichten kenne ich aus meinem Bekanntenkreis (in der Sturm- und Drangphase
) j ja auch.
Was hättet ihr getan? Danke für eure Antworten.
Anmerkung der Moderation: da es einige ziemlich gruselige Antworten und Meinungen auf diese Frage gibt, bitte einfach erstmal mal Beitrag #62 auf Seite vier beachten!
https://www.rennrad-news.de/forum/threads/hilfeleistung-notruf-wählen-oder-nicht.194458/page-4#post-6193790
Hallo Ball,
Dein Verhalten kann, muss aber nicht strafbar gewesen sein nach § 323c StGB. In Deutschland ist die Selbsttötung nicht strafbar, weil der freie Wille, nicht mehr leben zu wollen, höher angesiedelt wird, als die Pflicht anderer, Leben zu erhalten. Entsprechend sind Sterbebegleiter, solange sie nicht aktiv auf den Sterbeprozess ein wirken, nicht strafbar. Patientenverfügungen führen zum Ausschluss der Strafbarkeit des behandelnden Arztes. Er ist sogar verpflichtet, begonnen Heilbehandlungen abzubrechen bzw. diese nicht einzuleiten. Führt ein Arzt eine Heilbehandlung ohne Einwilligung des Patienten durch, macht sich der Arzt wegen Körperverletzung strafbar. Patienten können sich selber aus dem Krankenhaus entlassen, auch wenn der Arzt dies nicht möchte. Würde jemand sie daran hindern, machte sich eben diese Person strafbar, bspw. Nötigung.
Der BGH hat das hier in einem Verfahren formuliert, bei dem ein Arzt wegen einer vermeintlichen Förderung einer Selbsttötung angeklagt war:
"Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl.
BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84,
NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 –
3 StR 168/10,
NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 –
2 StR 295/11,
NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 –
2 StR 298/87,
NJW 1988, 1532).
Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl.
BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13,
StV 2014, 601, 603).
Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl.
BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80,
NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 –
1 StR 501/82,
NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 –
1 StR 638/99,
NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 –
1 StR 518/08,
BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 –
3 StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 –
5 StR 491/10,
NStZ 2011, 341, 342)."
Das Landgericht Dresden hat in 2023 die Schadensersatzklage eines Triathleten abgewiesen, der im Wettkampf kollabiert war und eine ärztliche Behandlung abgelehnt hat:
"Es zählt zu den Grundpflichten von Rettungssanitätern bei medizinischen Notfällen, Maßnahmen der ersten Hilfe zu ergreifen. Dies ist ein Mindestgebot der zwischenmenschlichen Solidarität, die das Gesetz in
§ 323c StGB nicht nur professionelle Rettungskräften, sondern jedermann abverlangt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es die Einsatzkräfte zeitweise bewusst unterlassen haben, den Kläger medizinisch zu behandeln.
Das war aber nicht erforderlich, weil es an der für eine Heilbehandlung erforderlichen Einwilligung des Klägers fehlte.
Von jeher leitet die Rechtsprechung das Erfordernis einer Einwilligung des Patienten in die Heilbehandlung zur Rechtfertigung des Eingriffs in die körperliche Integrität aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (
Art. 2 Abs. 2 GG) und seinem Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Menschenwürde (
Art. 1 Abs. 1 GG) her.
Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche Integrität,
über die sich auch ein Arzt nicht selbstherrlich hinwegsetzen darf. Die Einwilligung in den Heileingriff bedeutet nämlich in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, darüber hinaus das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben (
BGH, Urteil vom 14.02.1989 – VI ZR 65/88 –,
Rn. 19, juris; Urteil vom 09.12.1958 –
VI ZR 203/57 –,
Rn. 13 ff., juris).
Diese Grundsätze gelten ungeachtet einer medizinischen Indikation. Jeder Mensch darf aufgrund seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) eine Heilbehandlung selbst dann ablehnen, wenn dies zwingend zum Tod führt (vgl.
BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15 –,
Rn. 209 ff., juris). Ein ohne die Einwilligung des Patienten erfolgter Heileingriff ist darum grundsätzlich rechtswidrig und erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung nach
§ 223 Abs. 1 StGB (
BGH, Urteil vom 05.07.2007 – 4 StR 549/06 –,
Rn. 16, juris; Urteil vom 04.10.1999 –
5 StR 712/98 –,
Rn. 5, juris)."
In Deinem Fall hat die liegende Person Dir mitgeteilt, dass sie keine Hilfe benötigte bzw. wollte. Wenn die Person bei diesem Entschluss frei von Willensmängeln war, dann kommt keine Strafbarkeit in Betracht. War die Person bspw. so erheblich alkoholisiert oder litt an einer Erkrankung, dass sie keinen freien Willen bilden konnte, dann gibt es auch keine rechtfertigende Einwilligung bzw. kein tatbestandsausschließendes Einverständnis. Dann könnte Dir aber ein Irrtum helfen, weil Du von anderen tatsächlichen Umständen ausgegangen bist.
Du siehst, dass ein ganzer Rattenschwanz folgt, weil jedes Detail aufgeklärt wird, ob nun dieser oder jener rechtliche Fall vorliegt. Fährst Du einfach weiter, trägst Du erstmal die Verantwortung und musst Dein Verhalten rechtfertigen. Rufst Du den Notruf, gibst Du die rechtliche Verantwortung ab. Es erscheint mir sinnvoller, nicht von der Wertung anderer abhängig zu sein und sicherheitshalber den Notruf zu wählen.